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jedem echten Gespräch war er ebenso Gebender wie Nehmender. Die Frage-Antwort-Form der Schilderung des Besuchs war nicht zuletzt durdi Fontanes starkes Beteiligtsein an dem diskutierten Gegenstand verursacht; überdies wurde „Rudolf Lindau“ zweifellos sehr bald nach dem Besuch, als alles Gesprochene noch frisch im Gedächtnis haftete, niedergeschrieben. Auch Fontanes Beschreibung des eine Woche später empfangenen Besuchs von Paul Heyse (am 2. März 1883) ist übrigens vorwiegend eine Wiedergabe des gehabten Gesprächs, bei der Fontane in einer Randnotiz hervorhebt, daß der Münchner von allen literarischen Größen Berlins nur von Rudolf Lindau „einen absolut guten Eindruck“ empfangen zu haben schien 21 . Die Dialogform erreicht durch ihre Unmittelbarkeit eine Wirkung, daß der heutige, von berichterstattenden Medien umgebene Leser bei „Rudolf Lindau“ das Gefühl hat, „fast ein Interview“ 30 vor sich zu haben. Doch hatte Fontane während des Besuchs bei Rudolf Lindau zwar als Fragender, um nicht zu sagen als Ausfrager fungiert, aber keineswegs die Absicht einer Berichterstattung gehabt. Ihm war es hier vielmehr wie bei den meisten im Nachlaß aufgefundenen Aufzeichnungen in erster Linie um Selbstverständigung gegangen. Das Hingleiten des Gesprächs von Photographien Lindau verwandter Kinder über dessen japanische Kostbarkeiten bis zum Bild des Beiden bekannten Helgoländer Malers Gaetke, das Lindau in einer seiner besten Novellen verarbeitet hat, ist Erwärmen des Partners und damit Vorbereitung auf das „Eigentliche“, das Fontane aus dem ihm kongruenten, aber weltkundigeren und aussagefähigen Gegenüber hervorzuholen hoffte — nämlich die ihn um seines eigenen Schaffens willen interessierende Aussage über die literarische Produktionsweise des anderen.
Das hier zur Verdeutlichung des Zusammenhangs aller Paul- und Rudolf-Lindau-Aufzeichnungen so breit ausgeführte Gespräch mit Rudolf I.indau offenbarte seinerzeit erst beim Schreibakt sein volles Gewicht und verdrängte frühere Absichten, die Fontane bei Abfassung von „Paul und Rudolf Lindau“ und von „Rudolf Lindau“ vorgeschwebt haben mochten. „Rudolf Lindau“ verselbständigte sich gewissermaßen. Diese Niederschrift paßte nun weder in der Form noch im flehalt zu dem, was uns als Entwurf „Paul und Rudolf Lindau“ vorliegt: ein Teil des letzteren wurde zum Rohmaterial. Fontane entnahm ihm den Punkt 9 und benutzte ihn in gekürzter Form als Einleitung für „Rudolf Lindau“. Die Aufzählung der Gäste auf Paul Lindaus Gesellschaft vom 25. Januar 1883 entfällt in dem einleitenden Absatz von „Rudolf Lindau“ ebenso wie die Einzelheiten über Paul Lindaus Stück „Mariannes Mutter“; alles lenkt nun in der Erwähnung des 25. Januar auf das vier Wochen später geführte Gespräch über literarische Fragen hin. Dabei passiert es — wie wohl auch in Wirklichkeit geschehen —, daß Rudolf Lindaus Novelle „Gordon Baldwin“ zweimal ..durchgenommen“ wird: bei der Schilderung der in „Rudolf Lindau“ (im Gegensatz zu Punkt 9 von „Paul und Rudolf Lindau“) ausführlich dargelegten Unterhaltung mit Rudolf am Abend
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