Heft 
(1977) 25
Seite
42
Einzelbild herunterladen

gewissen Wichtigkeits- und Protektions-Ton heraus, der ihn verdroß. Sein Benehmen zur Stilke war sehr auffällig, aber mehr durch Schuld der Frau als durch seine Schuld. Sie wollte auf fallen, wollte mit ihm kokettiren. Dann kam die Mittags - Gesellschaft. Es waren nur vier, fünf Personen da: Stilke und Frau, Lindau, Herr vfon] Wus- sow, ,gch[eimer] Reg[ierungsratf\ Pietsch, ich. Vielleicht noch der eine oder der andre. Es war ganz unterhaltlich, die Scenerie reizend (Blick vom Balkon aus, wo wir Kaffe tranken, über den Thiergarten fort) aber etwas Ungehöriges lag über dem Ganzen. Wenn man die Tugend aller zusammen nahm, so kam noch kein Quentchen heraus: Stilke Schwiemel (so wenigstens hieß es), Herr v(on] Wussow alter Schwiemel, Pietsch Urschwiemel, Lindau dito und Frau Stilke ... das Bild einer Vollblut-Rheinländerin. Kleinigkeiten sind mir noch im Ge- dächtniß geblieben. Irgend ein gedrucktes Gelegenheits-Gedicht von irgend einem Unbekannten lag auf dem Tisch. Ich las es und sagte: ,.ganz nett; es könnte von Rodenberg sein. Lindau hörte den leisen Spott heraus und gab eine sehr rodenberg-freundliche Antwort. Ein Jahr später waren sie Todfeinde: Lindau hatteNord und Süd gegründet und würde mich nicht mehr leise reprimandirt haben. Auf dem Heim- wege (Wussow, Pietsch, ich) wurde die Frau Stilke-Frage durchgesprochen und Pietsch gab Details. Es waren Aeußerungen, die Lindau selbst gemacht und in denen er entwickelt haben sollte, wodurch es ihm gelungen sei, Stilkes Wachsamkeit einzuschlummern. Uebrigens bemerk' ich, daß mir Zolling 7 Jahre später erzählt hat: er glaube die ganze Geschichte nicht; die Frau sei gar nicht so schlimm, blos keck, rück­sichtslos und Lindau seinerseits habe einfach renommirt. Er (Zolling) habe grade damals mit Lindau viel verkehrt, an sehr fragwürdigen Orten und überall sei sein Renomme als batteur aux bois sehr schwach gewesen.

5. Ein oder zwei Jahre spätet war Lfindau] mit Fräulein Kalisch ver- heirathet und wohnte in einer hübschen Wohnung in der Linden-Straße, dem Thöre zu, nicht weit von derSternwarte. Hierhin erhielt ich 18 75 oder 76 oder 77 eine Einladung 10er wolle sein neustes Stück vorlesen. Jch nahm an. Auf einem Canapee lag Frau Lindau sehr gut aussehend in. einem mit rothen Schleifen besetzten Morgenrock. Es war kurz vor ihrer Entbindung. Es war, wenn ich nicht irre, nur noch Direktor Hein vom Klöniqlichen] Schauspielhause zugegen. Das Stück warTante Therese. Ich saqte ihm offen:ich fände es ganz nett, weniger an- greifsch als die früheren, aber nicht recht wirksam. Und so war auch das Schicksal des Stücks; es verschwand bald wieder von der Bühne

6. Ein oder zwei Jahre später waren Lindaus zu einer großen Gesell­schaft zu A. v[on] Heyden eingeladen, erschienen auch, sie in einer wundervollen, prächtigen Toilette. Die ganze Geschichte verlief wieder (aehnlich wie ein paar Jahre vorher die Abendgesellschaft bei Stilkes) zu meiner besondren Erbauung. Die Schuld war auf beiden Seiten, Heydens wie Lindaus, gleich groß. Heyden, in totaler Verkennung der Sachlage, hatte geglaubt ,.daß er diesem Bohemien und seiner Gattin