Recht übertrumpft das bis dahin gültige civile Recht der Stiefmutter. Das ist ganz gut, aber ist keine Lösung der Aufgabe, die sich der Dichter 3 Akte lang selbst gestellt hat. Wir kamen aber überein, daß es doch gehen und der Fehler vielleicht cachirt bleiben könne, wenn es ihm gelänge den ersten 3 Akten jede Spur von tragischem Ton und tragischem Anlauf zu nehmen 18 . Er (Lindau) war bei der ganzen Debatte sehr liebenswürdig; überhaupt gewann ich an diesem Abend einen sehr guten Eindruck, näherte mich Rudolf Lindau und versprach, ihn zu besuchen.
Der Inhalt der nun folgenden 3 Bogen muß bei dem Vorhergehenden immer an passender Stelle einrangirt werden 11 '.
P. Lindau wohnte in der Zeit von 73 bis 83 in vier Wohnungen: in der Luisenstraße 37, in der Linden-Straße, dem Kronprinzen-Ufer 3 oder 4 und in der Von der Heydt-Straße 1. Alle Wohnungen waren elegant. Am meisten imponirte mir die erste (Luisenstraße). Man war damals, zu Anfang der Gründerzeit, noch weniger an glänzende Einrichtungen gewöhnt, am wenigstens aber bei einem Schriftsteller der höchstens 32 Jahre alt und eigentlich noch ein Anfänger war. „Maria und Magdalena“ war eben erst gegeben. Die Luisenstraßen-Wohnung bestand aus 6 Zimmern, drei nach vom und drei nach hinten, dazwischen ein Corridor. Von den drei Vorderzimmem war das erste ein Boudoir, nach Art eines Damenzimmers eingerichtet, dann kam, im Ministerstil, ein großes Audienz-Zimmer und hinter diesem ein ebenso großes Arbeitszimmer. Beide schweben mir noch in ihren charakteristischen Zügen vor. Prunk und Ueberladenheit waren vermieden, alles sollte solide wirken. In dem Audienz-Zimmer waren alle Möbel (Sopha, Stühle) mit demselben graugrünen Ripsstoff überzogen, aus dem auch die Tischdecken bestanden. Alles ächt, tüchtig und von prononcirter Einfachheit. Nach demselben Prinzip war auch das Arbeitszimmer eingerichtet. Alle Möbel: Stühle, Schreibtisch, Bücherschränke waren von demselben gelbweißen Holz (ich glaube Ahorn). In dert Schränken stand eine wundervoll eingebundene Bibliothek, nicht kunterbuntes Zeug, mal hoch mal niedrig, mal elegant gebunden mal brochirt, sondern alles in langen Reihen, immer 12 oder 24 Bände wie Garde-Bataillone. Meine Empfindung dem allem gegenüber war eine getheilte, das Raffinement verdroß mich, jedem Besucher sollte Sand in die Augen gestreut werden aber ebenso freute ich mich, daß ich hier eine neue Zeit anbrechen sah. Vielleicht keine beßre (wie ich jetzt nach zehn Jahren sagen darf, auch keine schlimmre) aber jedenfalls eine andre, die den Schlafrocks- Gelehrten und Zoddel-Literaten ein für allemal von der Tafel strich. Ich erzählte schon weiter oben, daß er mir bei diesem Besuche allerlei von der Größe der Familie Lindau vorrenommirte, dabei mit Vorliebe (und mit Recht) bei den Qualitäten seines Bruders Rudolf verweilend. Was er betonte, war aber immer mehr der Weltmann, der forsche Kerl, der Reiter, der Pistolenschütze, das Schriftstellerische wurde nur so nebenbei erwähnt, dann aber immer in großen Sätzen. „Mein Bruder ist mehr englischer und französischer Schriftsteller als deutscher; er gehört
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