Heft 
(1977) 25
Seite
47
Einzelbild herunterladen

Literatur bedeuteten. Zum Glück schrieben Wilbrandt und Heyse gele­gentlich auch Stücke, sonst hätten sie das Nachsehen gehabt. In die 10 Jahre von 70 bis 80 fallen Freytags Ahnen, Ebers Romane, Heyses Im Paradies, Julius Wolffs epische Dichtungen und über alle diese ist auch wohl geschrieben worden. Einzelner Besprechungen entsinn ich midi, so mehrerer über Freytag und Ebers. Aber sie waren grenzenlos unbedeutend. Und gerade hier hätt er sich legitimiren müssen. Er konnte sie loben, er konnte sie tadeln, er konnte zwischen Lob und Tadel balanciren, aber es mußte durchaus etwas Ernstes, Tüchtiges gesagt werden. Das fiel ihm aber nicht ein. Wenn mich nicht alles täuscht, waren beide (Freytag und Ebers) gleich sehr gegen seinen Geschmack und ich bin geneigt diesem Geschmack zuzustimmen; aber gegen den Strom zu schwimmen, wenn nicht ein direktes Interesse oder per­sönliche Gründe Vorlagen, fiel ihm nicht ein. Er war viel zu klug, um innerlich einen äußern Erfolg zu respektiren, er lachte darüber, aber andrerseits war der Geschmack des Publikums, das von eben diesem Publikum abgegebene Verdikt, auch wieder der einzige Götze vor dem er betete. Ein Buch, von dem in 4 Wochen 40 000 Exemplare verkauft waren, durfte nicht angegriffen werden. Jedenfalls war dieser Thatsache Rechnung zu tragen. Ein Erfolg, dumm oder nicht, mußte respektirt werden. Nach diesen Grundsätzen wurde redigirt: erst Lindau, dann französische Stücke, dann deutsche Stücke so weit sie mit Lindau con- currirten, dann Umschauw T as hat sonst noch Erfolg gehabt? und dann Sommerbriefe an eine Freundin, darin regelmäßig ein armer Schullehrer zur Erbauung der Thiergarten-Straße abgeschlachtet wurde. So ging es zehn Jahre lang. In diesen zehn Jahren hat G. Keller zwei Bände Züricher Novellen herausgegeben und Storm seine besten und reifsten Novellen geschrieben. Es fallen in diese Zeit Romane von W. Raabe, Felix Dahn. P. Hevse. Prof. Vischer, epochemachende Bücher auf dem Gebiete der Geschichte, der Naturgeschichte, der Entdeckungen (Stanley z. B.) ganz zu geschweigen, aber für alle diese Personen und Bücher ist entweder gar nichts oder immer nur Zufälliges und Unausreichendes gesagt worden. Es war ein kleines Interessen- und Coterie-Blatt, was darüber hinauslag, war blos zu Gast und kam wie von ungefähr hinein. Lindau hatte nur Augen für das was jedermann ohnehin sehen konnte, Erfolg war Erfolg, Niederlage war Niederlage. Diese durch Publikum und Presse hergestellten Resultate wurden in derGegenwart einfach registrirt. Nie aber, wenn es nicht aus persönlichen Rücksichten geschah, hat dieGegenwart ihre Stimme erhoben, um das mißleitete Urtheil zu rectificiren, um falsche Götter vom Sockel zu stürzen oder wohl gar um unbekannte kleine Leute an die Stelle der aufgebauschten Größen zu setzen. Lindau hatte dazu gar keine Zeit, er konnte sich, ewig mit seinen eignen Angelegenheiten beschäftigt, weder auf Dethro- nisirungen noch auf Entdeckungen neuer Sterne einlassen, sein Inter­esse hinderte ihn daran, aber es lag auch jenseits des Maaßes seiner Begabung. All seiner Klugheit, seiner dialektischen Schärfe, seines Witzes unerachtet, entbehrt er meiner Meinung nach der Fähig-

47