gebunden, mal broschiert, sondern alles in langen Reihen, immer 12 oder 24 Bände wie Gardebataillone. Meine Empfindung dem allen gegenüber war eine geteilte. Das Raffinement verdroß midi, jedem Besucher sollte Sand in die Augen gestreut werden, aber ebenso sehr freute ich midi, daß ich hier eine neue Zeit anbrechen sah. Vielleicht keine bessere (wie ich jetzt nach zehn Jahren sagen darf, auch keine schlimmere), aber jedenfalls eine andere, die den Schlafrockgelehrten und Zoddelliteraten ein für allemal von der Tafel strich.
Einige Zeit nachher wurde ich zu einem Frühstück geladen, das etwa von 1 oder 2 Uhr bis gegen 10 dauerte. Ich ging früher. Zugegen waren: Stilke, Rodenberg, Berthold Auerbach, Oppenheim, Stettenheim. Die Mehrzahl der Gäste hab' ich vergessen. Spielhagen, Frenzei, die sich immer retire hielten, waren nicht zugegen. Es ging sehr opulent her; kalte Speisen; der Champagner war Tischwein. Einzelheiten sind mir nicht mehr im Gedächtnis. Rodenberg wurde schläfrig und wurde zum Gaudium der Gesellschaft zu Bette gebracht; man legte ihn ins Nebenzimmer auf ein Sofa und deckte ihn zu. Er schlief auch ein, alles Nebenanspektakels unerachtet. Auerbach wurde mit Gutzkow (seinem Rivalen) geneckt; im übrigen ist mir kein anderer Eindruck geblieben, als daß es „forsch“ herging, in einer Weise, die man damals (1873) in literarischen und journalistischen Kreisen noch nicht kannte. Freilich, es war gerade „Gründerzeit“, wo die Maurer Kaviar zum Frühstück forderten, „aber vom besten“.
Die nächsten Begegnungen mit ihm hatt’ ich bei Stilke, Unter den Zelten 19 oder 21, erst in einer großen Abend-, dann in einer kleinen Mittagsgesellschaft. In der Abendgesellschaft war auch Lepel und brachte einen Toast aus „auf die Zukunft der Gegenwart“. Lindau erwiderte, er danke und halte bei diesem Danke tapfer aus, trotzdem er diesen Toast in den letzten vier Wochen in zwölf Gesellschaften erlebt habe. Es war wenig artig, aber vielleicht doch berechtigt, denn er hörte einen gewissen Wichtigkeits- und Protektionston heraus, der ihn verdroß.
Ein oder zwei Jahre später waren Lindaus zu einer großen Gesellschaft zu A. v. Heyden eingeladen, erschienen auch, sie in einer wundervollen, prächtigen Toilette. Die ganze Geschichte verlief wieder (ähnlich wie ein paar Jahre vorher die Abendgesellschaft bei Stilkes) zu meiner besonderen Erbauung. Die Schuld war auf beiden Seiten, Heydens wie Lindaus, gleich groß. Heyden, in totaler Verkennung der Sachlage, hatte geglaubt, „daß er diesem Bohemien und seiner Gattin eine große Ehre erweise“, während beide Lindaus die Sache als ein absolut gleichgültiges Ereignis ansahen. Sie merkten sofort, daß man ihnen durch wohlwollende Steifheit und ebenso durch einige Hof-Adels- und Autornamen imponieren wollte, und drehten nun den Spieß um, indem sie sich mit vollkommenster Sicherheit in den Räumen bewegten und gar nicht daran dachten, sich irgendwem vorstellen zu lassen. Nicht einmal den Damen des Hauses. Sie kamen nur, lachten, nickten ein paar Bekannten zu, tranken Tee, tanzten, nahmen etwas Eis und verschwanden wieder.
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