Heft 
(1977) 25
Seite
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Gewiß war dies alles nicht artig und in dem Heydenschen Hause nicht angebracht. Aber artig oder nicht, im ganzen genommen kann ich es nicht verurteilen; dieGesellschaft hier muß auf die Weise mit der Nase drauf gestoßen werden, daß die ausschließliche Herrschaft der Leutnants und Barone vorüber ist.

Abermals ein Jahr später hatten Lindaus die Wohnung gewechselt und wohntenam Kronprinzenufer ganz in der Nähe der Alsenstraße. Es war 78 oder 79, als ich eine Einladung erhielt, wieder zu einem Dejeuner, das dem amerikanischen Gesandten Bayard Taylor zu Ehren gegeben wurde. Nächst Taylor war Berthold Auerbach (der den Taylor übersetzt hat), die Hauptperson. Andere Gäste waren Lasker, Professor Ihering aus Göttingen, Oppenheim, Julius Grosser, Emst Dohm, wenn ich nicht irre, und viele andere. Frau Lindau, die einzige Dame, zwischen Taylor und Auerbach. Lindau erhob sich und sagte kurz und bescheiden:da er der Rede nicht mächtig sei, werde sein Freund Auerbach sprechen. Dies geschah, und Auerbach sprach gut, wie immer. Taylor dankte, erste Hälfte deutsch, zweite Hälfte englisch. Dann sprach Lasker; auch gut, ein wenig langweilig-doktrinär. Mit Ihering freundete ich mich so weit an, daß wir zusammen nach Hause gingen. Die Gesell­schaft war sehr nett. Das Breitspurige der Champagner-Epoche (Luisenstraße) war abgetan, und in würdiger und unterhaltender Weise verlief die kleine Festlichkeit. Bald danach ward ein ähnliches Fest gegeben, wo Lord Odo Russell der Gefeierte war oder doch die Haupt­person. Ich lehnte ab, weil ich es für angemessen hielt, mich aus einem Kreise zurückzuziehen, in dem ich das Gefühl hatte, doch nie recht heimisch werden zu können. DieHof- und Ministerialperiode Lindaus hatte mittlerweile begonnen, zum Teil wohl unter Anleitung seines in­zwischen nach Berlin hinübergesiedelten Bruders Rudolf. Später tat es mir doch leid, gerade an diesem Russell-Abend gefehlt zu haben, da 1x3rd Cdo tags darauf ein Dankbillet an Lindau gerichtet hat, in dem es heißt:Lieber Lindau. Manchen hübschen Gesellschaftsabend hat mein Leben in Deutschland zu verzeichnen. Aber der gestern bei Ihnen verlebte, das muß ich Ihnen aussprechen, ist mir der liebste und inter­essanteste gewesen. Ihr Odo Russell.

Trotz jener Absage kam in der nächsten Saison, ich glaube 80 oder 81, eine neue Abend-Einladung. Ich nahm an. Der ganze Zuschnitt hatte sich seit dem Taylor-Dejeuner, das vielleicht nur zwei Jahre zurücklag, sehr verändert. Ein literarisches Element war wohl noch da, aber ver­schwindend: alles war ministeriell, diplomatisch geworden. Ich wurde dem Fürsten Hohenlohe (Botschafter in Paris) und dem Grafen Wilhelm von Bismarck vorgestellt. Der Fürst musterte meine Hosen, die er für zu hell oder vielleicht für zu wollhaarig es war ein sonderbarer Stoff - zu halten schien. Dabei hatte es sein Bewenden. Die Majorität setzte sich aus Finanziers und Geheimräten zusammen; auch einige schöne Damen. Heinrich Kruse, mit der stereotypen Goethe-Haltung, plauderte mit Hohenlohe, ich mit Baron Korff, der auch nicht recht wußte, wie er die Zeit hinbringen sollte. Bald nach elf brach ich auf; ich hatte mich

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