nicht bloß grenzenlos gelangweilt, sondern auch ganz deplaciert gefunden. Es war das erstemal, daß ich in einer Berliner Gesellschaft das völlige In-den-Skat-Gelegtsein und die Herrschaft einer neuen Generation empfand.
Einige Zeit vorher (und das war auch wohl Grund meiner Einladung) hatte ein Ereignis stattgefunden, das Lindau und mich als zwei Leidensgefährten wieder näherbrachte. Die Goethe-Statue sollte enthüllt werden, und Berliner Schriftsteller hatten seitens des Komitees Einladungen dazu erhalten. Lindau nicht. Er war empört und das mit Fug und Recht. Als er erfuhr, daß es mir ebenso ergangen sei, beruhigte er sich einigermaßen wieder, ein Gefühl, worin ich ihn aber stören mußte. „Lieber Lindau“, schrieb ich ihm, „leider bessert der Umstand, daß ich. vergessen wurde, nichts. Ich bin wirklich einfach vergessen; kein Mensch hat mich kränken wollen; wenn etwas Kränkendes für mich vorliegt, so ist das, daß wirklich kein Mensch an mich gedacht hat. An Bekanntere denkt man eben. Aber Sie, Sie sind nicht vergessen, Sie sind mit Absicht übergangen, und das ist kleinlich, das durfte nicht geschehen.“ Es entspann sich daraus eine Korrespondenz, selbst Zusammenkünfte fanden statt.
Am Abend des 21. März 1884 erhielt ich durch einen Boten das folgende Schreiben:
,,Verehrtester Freund! Der Herzog von Meiningen und seine Frau, Baronin von Heldburg, wollen uns die Ehre ihres Besuches erweisen, Sie sind freundlichst eingeladen. Herzlichsten Gruß.
Heute abend 10 Uhr. Überrock.“
Ihr Paul Lindau
Lindau kam auch noch in Person, um der Einladung mehr Nachdruck zu geben. Das war um neun. Um 10 Uhr war wirklich eine Gesellschaft bei ihm versammelt, deren Mitglieder bis um acht noch nichts von einer ihnen bevorstehenden „Herzogs-Soiree“ gewußt hatten. Zugegen waren: der Herzog selbst, ein großer, schöner Mann, kahl, mit etwas weißem Haar und Bart, seine Gemahlin Baronin Heldburg (Ellen Franz), eine schöne, heitere Dame, die mich durch ihre Ungezwungenheit (ich hatte etwas Aufgesteiftes und prüde Wichtigtuerisches erwartet) angenehm überraschte; Prinz Emst, Leutnant im 2. Garde-Regiment; Prinz Friedrich, Leutnant im Garde-Artillerie-Regiment, beides große, stattliche junge Männer. Außerdem Legationsrat Rudolf Lindau, der junge Kalisch (Opernsänger), L’Arronge, Gussow, Scholz, Lubliner, Julius Wolff. Stettenheim, Grete Begas, Hans Hopfen, Ludwig Pietsch und meine Wenigkeit. Man kannte sich meist, ausgenommen waren wohl nur Julius Wolff, Stettenheim, Hopfen und ich. Ich sprach mit der Baronin, der ich vorgestellt wurde, dann bei Tisch mit dem Prinzen Friedrich, neben dem ich saß. Gegen den alten Herzog und Prinz Emst verneigte ich mich bloß. Dabei hatte die Herrlichkeit sein Bewenden. Die Baronin sehr angenehm; der junge Prinz einfach, natürlich, mitteilsam. Nichtsdestoweniger war das Ganze nicht viel. Möglich, daß der Herzog mit dem
52