einen oder andern ein längeres Gespräch vor oder nach Tisch gehabt hat (gesehen hab’ ich nichts davon), bei Tisch selbst aber war er im ganzen still und hat von der Tafelrunde nichts gehabt als den Anblick unserer Physiognomien.
Interessanter waren die Gespräche mit L. Pietsch, Stettenheim, Hopfen, Lubliner und Grete Begas. Sonst drehte sich das Gespräch im ganzen genommen darum, daß das Zusammentrommeln einer solchen Gesellschaft in zwei Stunden „eine kollossale Leistung“ sei. Was auch zutrifft. Das Interessanteste bleibt die einfache Tatsache einer solchen Gesellschaft: ein regierender Herzog, nächster Anverwandter des kaiserlichen Hauses, meldet sich mit seiner Familie bei einem Schriftsteller an und spricht dabei den Wunsch aus, einiges von der Berliner Künstler- und Dichterschaft kennen zu lernen. Und in zwei Stunden wird die Sache gemacht und geschickt und gefällig durchgespielt. Hierin lag überhaupt die soziale Bedeutung Lindaus. Er wirkte nach dieser Seite hin refor- matorisch, und die Schriftsteller, statt ihn zu beneiden und zu bewitzeln, hätten ihm damals dankbar sein sollen. Er eroberte ihnen eine Position, die sie vorher nie gehabt hatten, indem er jahraus, jahrein Personen bei sich sah, die der höchsten gesellschaftlichen Sphäre angehörten.
Gedruckt nach: Vossische Zeitung Nr. 462 (Sonntagsausgabe) vom 28. September 1924, S. 2 und 3 unter dem Strich. — Im Anschluß an den Titel fügte der ungenannte Herausgeber die Bemerkung an: „Das Thema: Bürgerliche Stellung des Schriftstellers, das den Briefschreiber Fontane so häufig erbitterte, wird in diesem bisher unveröffentlichten Memoirenkapttei neu beleuchtet.“
III. Anhang: Briefe
1. Paul Lindau an Theodor Fontane Verehrtester Herr Kollege!
Berlin, 12. Februar 1872
Seien Sie für alle Beweise Ihrer freundlichen Gesinnung herzlichst bedankt. Ihr Aufsatz über Wartensleben erscheint in einer der nächsten Nummern. Ich hatte zum Wechsel des Quartals zu viel Stoff aufgezeichnet, und muß nun erst das Gros etwas abtragen. In Nummer 13/14 werde ich aber den Raum dazu gewinnen 1 . Ein Artikel aus Ihrer Feder über den „dernier des Napoleons“ würde mir selbstredend überaus willkommen gewesen sein, wenn nicht Ihre Voraussetzung, daß Braun dasselbe Thema schon behandelte, die richtige gewesen wäre. Sie werden sich nun aus Nr. 12 der „Gegenwart“ überzeugen 2 . (Pardon! ich wurde hier unterbrochen, und hatte, als ich aufstand, das Malheur, mit dem Rockärmel über die nasse Schrift zu fahren. Da ich nun heute bereits an meinem 24. Brief bin, werden Sie mir’s gewiß verzeihen, wenn dieser in polizeiwidrigem Neglige Ihnen seine Aufwartung macht.) Für den Verlust, der mir durch Brauns Anticipation entsteht, müssen Sie mich aber bald entschädigen! Schreiben Sie mir recht bald etwas Anderes! Was Sie wollen.
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