literarisch-werkgemäß war, soweit das an einer Hohenzollembühne überhaupt möglich war.
1872 begegnet Fontane dem Stück ganz offenkundig vorurteilsvoll-verengt, 1876 ist er bereit, es ästhetisch-dramaturgisch „ganz allein aus sich selbst heraus zu beurteilen“ 7 .
Die Vorurteile von 1872 erwachsen aus einem engen, unschöpferischen, ja formalen Realismus-Begriff, der sehr stark auf das Moment der Wahrscheinlichkeit und historischer Treue orientiert ist, und aus einem konventionellen, „korrekten“, verpreußten Heldenbegriff. Der „Sinn für das Normale und Gesunde“ 8 , der sich später als produktives Realismus- Kriterium zur Abwehr entfremdeter und dekadenter Tendenzen erweisen wird, wirkt jetzt noch als banales und konventionelles Hemmnis, das in noch nicht überwundenen klassizistischen, „poetisch-realistischen“ und preußischen Überzeugungen wurzelt. Vorerst ist Fontane, durch die Polemik gegen die Gestalt des Prinzen als „unwürdiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft“, als „Jammer“-Gestalt, als „eitlen, krankhaften, prätentiösen Waschlappen“ 9 usw., weit hinter Ludwig Tieck. Heinrich Heine und Friedrich Hebbel zurückgegangen, die mindestens den Realismus der Todesfurchtszene groß herausgestellt hatten. Sein Kleist- Bild von 1872, besonders sein „Homburg“-Urteil, ist vom Kleist-Kapitel in der Literaturgeschichte Julian Schmidts beeinflußt, der von seiner konservativen nationalliberalen und fad-rationalen Position aus die Gestalt des Prinzen insgesamt wie die Todesfurchtszene im besonderen verwarf 10 .
Die Beherrschtheit und Objektivität des Urteils von 1876 kann und wird auch durch den Übergang vom unmittelbaren Leseeindruck zur geformten, dem Kunstwerk inhaltlich und formal angenäherten Kritik mitbedingt sein. Aber selbst im Verein mit dem Erlebnis einer Aufführung vermag er die Wendung zur grundsätzlichen, z. T. emphatischen Bejahung des Stückes nicht befriedigend zu erklären. Eine entscheidende Ursache für das veränderte, objektivierte „Homburg“-Bild, für den Verzicht z. B. auf den Vorwurf mangelnder und historischer „Korrektheit“ 11 , ist zweifellos im „Sekretariatsjahr“ 1876 zu sehen. Die negativen, ja demütigenden Erfahrungen, die Fontane seit März dieses Jahres als Sekretär der Königlichen Kunstakademie mit der preußischen Hierarchie und Bürokratie sammelte, wirkten, zusammen mit früheren Erlebnissen und Erfahrungen, auf sein Bild vom Preußentum stark desillusionierend und wurden bekanntlich zu einer wesentlichen subjektiven Voraussetzung seines kritischen Alterswerkes. Dies sprach Conrad Wandrey bereits 1919 aus: „Die Berufung als Erster Sekretär der Königlichen Akademie der Künste im März 1876 war für ihn Verhängnis und Segen zugleich ... Das Datum bedeutet Fontanes Geburt als Romanschriftsteller.“ 12 Im Grunde gilt dies für die gesamte ideologische und künstlerische Spätentfaltung Fontanes. Den unmittelbaren antithetischen Zusammenhang von bürokratischer und theaterkritischer Tätigkeit hat Fontane brieflich sogar selbst direkt ausgesprochen:
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