Heft 
(1977) 25
Seite
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Eine gute Theaterkritik, um das Kleinste herauszugreifen, ist viel, viel besser als diese Reskriptefabrikation, bei der ich noch nichts Erfreuliches habe heraus­kommen sehn.

Auch das ..Homburg-Urteil von 1876 ist also eine wesentliche Station auf dem Wege Fontanes zum Kritiker am Preußentum und zum vorur­teilslosen ästhetischen Literatur- und Theaterkritiker. Die ästhetisch­immanent objektiveHomburg-Kritik von 1876 besitzt aber auch über Fontane hinausgehende Bedeutung. Mit ihr ist die leidenschaftliche Be­jahung des Stückes durch seine Nachfahren Siegfried Jacobson, Herbert Ihering und auch durch Arnold Zweig eingeleitet und die Kontinuität zu Ludwig Tieck, Heinrich Heine und Friedrich Hebbel hergestellt, so sehr deren Urteile im einzelnen differieren. Die Entwicklung führt nicht länger an Fontane vorbei, sondern wird von ihm mitgetragen. Am engsten ist dabei die Beziehung zwischen dem Fontane von 1876 und dem Herbert Ihering von 1925. Seine dramaturgisch-ganzheitliche Wür­digung derHomburg-Inszenierung Ludwig Bergers im Berliner Staats­theater imBerliner Börsen-Courier vom 14. 2. 1925 ist eine Konkreti­sierung der ästhetischen Kritik Fontanes aus dem Jahre 1876. Beide wurzeln dabei objektiv in dem Heine-Wort, wonach derPrinz von Homburg gleichsamvom Genius der Poesie selbst geschrieben 11 sei.

Noch zweimal hat sich Fontane als Theaterkritiker mit demPrinzen von Homburg befaßt, in derVossischen Zeitung vom 15. Mai 1877 und in derjenigen vom 23. Oktober 1889. In beiden Fällen beschäftigt er sich verständlicherweise nicht mehr mit dem Stück an sich wie in der Kritik vom 12. Oktober 1876, die sein letztes und gültigstes Wort zum Drama enthielt; er äußert sich jetzt im wesentlichen nur noch über die Darstellung. Am Gastspiel Otto Ottberts aus Schwerin in der Rolle des Prinzen hebt er dasMaß, dieDezenz undZurückhaltung anerkennend hervor, warnt aber zugleich vor der Gefahr des Umschlages zu großer Einfachheit und Verhaltenheit in unpoetischeNüchternheit. Aus seinem weiter entwickelten Kunstverstand und -gefühl billigt er nur die Vermeidung vonfalschem Pathos, nicht vonPathos überhaupt 15 . Die rechte realistische Mitte sah er dagegen bei Emanuel Reicher in der Rolle des Kottwitz gewahrt, obgleich er im Falle diesesBrahminen mit Recht einräumte, daßalte brandenburgische Haudegen nichtzu seinen eigentlichsten Gestalten gehören. Reicherhatte sich aber, mit vieler und glücklicher Kunst, dies Feld erobert. Die wundervolle Szene im 4. Akt, in der er dem Kurfürsten seine große Rede hält und ihm auseinandersetzt, was er unter Dienst und Treue versteht, erntete denn auch den lautesten Beifall des Abends ,fi .

Mit Albert Matkowskys üblicherMischung von kritikloser Entfaltung rein äußerlicher Mittel und Gaben mit Genieblitzen und instinktiver Treffähigkeit 17 fand sich Fontane im Oktober 1889 ab, ohne die dem Beifall beigemischtenZeichen entschiedenen Mißfallens 18 zu billigen oder gar zu teilen. Fontane sah und würdigte das Bemühen um Neu­gestaltung der Rolle bei Reicher, ohne das Konventionelle der Inszenie­rung sonderlich zu attackieren.

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