Heft 
(1977) 25
Seite
62
Einzelbild herunterladen

Auch im Falle desZerbrochenen Kruges und desKäthchens von Heil­bronn besteht die Möglichkeit des Vergleichs zwischen dem Leseein­druck von 1872 und späteren Theaterkritiken. Im Unterschied zum Urteil über denPrinzen ist in der Theaterkriktik vom 29. 10. 1886, die auch dem Kleistsdien Lustspiele gilt, keine Entwicklung festzustellen, ja die Einwände gegen das Stück sind angesichts der Aufführung noch schärfer formuliert. Die Konzentration erwächst zunächst aus der allgemeinen Verdichtung des Leseeindrucks in der Kritik; zum anderen werden in der Vossischen Zeitung vom 29. 10. 1886 gleich drei Einakter zusammen besprochen, die in dieser Zusammenstellung am Vorabend auf der Bühne des Königlichen Schauspielhauses dargeboten worden waren. Um so erstaunlicher ist es nun aber, daß Fontane die literarische und mimisch-gestische Überlegenheit desZerbrochenen Kruges gegenüber den anderen beiden Stücken, gegenüber Adolf WilbrandtsJugendliebe und Roderich BenedixEigensinn, nicht klar hervorhebt; im Gegenteil, Kleist wirkt in dieser Sammelkritik eingeebnet.

1872 hatte Fontane notiert:Der zerbrochene Krug ist wahrscheinlich ein Spielstück lu . 1886, unter dem Eindrude der Aufführung, erklärt er ihn zumLesestück. Als völlig neu kommt, ebenfalls unter dem Ein­druck der Einstudierung, der Vorwurf derSchmuddelweit hinzu, in die kein einzigerLicht- und Schönheitsschimmer 20 einfällt. DieseKrug- Kritik, die sich freilich nur in einer Sammelkritik befindet, weist jeden­falls kaum auf die progressive Kritik überVor Sonnenaufgang und auf den engagierten Bahnbrecher des Hochnaturalismus in der Literatur und auf der Bühne voraus. DieKrug-Kritik steht eher noch im Zeichen von Fontanes Ablehnung des Frühnaturalismus Michael Georg Conrads, Karl Bleibtreus, Conrad Albertis und auch Max Kretzers 21 . Fontane ist 1886 ganz offenkundig auch nicht gewillt, das zum Teil emphatische Lob desZerbrochenen Kruges durch Otto Brahm in dessen 1884 erschie­nenem Kleist-Buch 22 zu teilen, ja er warnt sogar am Schlüsse seiner Kri­tikdie realistische Richtung unserer Tage, sichabsolut günstig zu Kleists Lustspiel zustellen 23 .

Im Falle desKäthchens von Heilbronn bleibt das Urteil konstant. Es ist für Fontane eine durch einzelne naturalistische Elemente beein­trächtigte Märchendichtung. Dabei ist das Urteil Julian Schmidts gemil­dert. Bei KleistsRitterschauspiel kommt nun noch die motivische Ver­wendung in Fontanes Romanschaffen hinzu. Aus Anlaß von Effis Verlobung mit Innstetten läßt Pastor Niemeyer bekanntlich von seiner Tochter Hulda und einem Husarenleutnant die Hollunderstrauchszene darstellen. Dieverschämte Nutzanwendung auf die Verlobten ruft den Widerspruch des alten Briest hervor, der keineswegs aus literarischen oder theatralischen Gründen erwächst, sondern aus dem Dünkel der alten,historischen Adelsfamilie 24 . Wie in anderen Situationen gibt der alte Briest schließlich auch hier humoristisch-ironisch nach. Diese Episode, die Pierre Bange im Sinne gegenseitiger strukturell-ironischer Relativie­rung von irrealerKäthchen-Welt und entleerter preußischer Gesell-

62