Heft 
(1977) 25
Seite
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schalt interpretiert 25 , fügt aber demKäthchen-Bilde Fontanes außer der Unterstreichung des Märchencharakters sachlich nichts hinzu. Sie kann aber darüber hinaus durch die Aufnahme ins gültige dichterische Werk als eine besondere Sanktionierung desKäthchens von Heilbronn als Dichtung aufgefaßt werden, womit Fontane freilich nur dem kon­ventionellen literarisch-theatralischen Zeitgeschmack entsprochen hätte, der unter allen Stücken Kleists demgroßen historischen Ritterschau­spiele noch am meisten zugetan war.

..Die Hermannsschlacht bewundert Fontane als absolut phrasenlose, patriotisch und ästhetisch hinreißende Dichtung. Sie ist ihm das Muster einer gelungenen Tendenzdichtung. Vorbehalte gegen die Heftigkeit des Nationalbewußtseins äußerte er auf der Basis ästhetischer Kritik nicht. Fontane knüpft in der Theaterkritik vom 21. 1. 1875 direkt an Äuße­rungen Julian Schmidts über dieHermannsschlacht an, übertrifft ihn aber in der Intensität des Stücklobes im Gehalt wie in der Formulierung, wie er im Falle desPrinzen von Homburg 1876 das Urteil von Adolf Schwarz an Vorurteilslosigkeit und Eleganz überragte.

Fontanes Bild des Dramatikers Heinrich von Kleist ist also, abgesehen vom Urteil über denPrinzen von Homburg, doch recht konstant, wovon auch Hans-Heinrich Reuter ausgeht. Auffallend ist die Abhängig­keit vom Kleist-Bild Julian Schmidts; auffällig sind zugleich die Ver­suche, die Abhängigkeit namentlich im Einzelurteil zu überwinden.

Den Erzähler Kleist scheint Fontane über den Dramatiker gestellt zu haben; denn er findet ihnsehr bedeutend 26 , besonders in derVerlo­bung in St. Domingo und in derMarquise von O.... An derVer­lobung rühmt er die realistische Konsequenz und die stilistische Ge­schlossenheit; dieMarquise ist ihmdas Glänzendste und Vollen­detste, das Kleist geschrieben hat,eine Meisterarbeit 27 . Der Zugang zu dieser Novelle ergibt sich ihm vom Menschenbilde her, das er mensch­lich und ästhetisch voll befriedigend findet, und von der Objektivität und dem Takt der Darstellung her. Eine gewisse novellistische Mario- nettenhaftigkeit der Gestalten, vor allem des sich vollkommen wandeln­den Vaters, empfindet er offenbar nicht als störend; es sei denn, man betrachtet den alten Briest mit seinen durchgehenden menschlichen Tendenzen zur klassenmäßigenUnkorrektheit als romanhafte korrigie­rende Gegengestalt zum erst konventionellen, dann menschlich gewan­delten Obristen von G.

Zwei Formulierungen in den Notizen zurMarquise erinnern an die Lenz-Novelle Georg Büchners:Man entdeckt die Möglichkeit dazu (zumFall der Marquise, der Verf.) im eigenen Herzen und das Wort von derfrauenärztlichen Objektivität 28 bei der Darbietung der Novelle. Wenn auch dieMöglichkeit im eigenen Herzen die Büch- nersche Figurenanforderung derMöglichkeit des Daseins 29 auf die Rezeptionsebene verlagert und in diesem Falle verinnerlicht, so dient sie doch auch der Beglaubigung des Realismus, der in derLenz-Novelle zur medizinischen Sachlichkeit tendiert. Fontane stellt hier objektiv die

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