Heft 
(1977) 25
Seite
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Beziehung KleistBüchner her und weist damit objektiv auch auf Gerhart Hauptmannsnovellistische Studie über denBahnwärter Thiel voraus.

Im Urteil über dieVerlobung und über dieMarquise läßt Fontane Julian Schmidt weit hinter sich, der von derVerlobung einenwider­wärtigen Gesamteindruck hat und dieMarquisean die Grenze des Lächerlichen angesiedelt findet.

Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik kritisiert Fontane wegen derVerherrlichung des Katholizismus, zu dersich ein Pro­testant nicht hergeben darf 30 .Die Kunst hat nicht das Recht, sich vom Leben zu lösen und Glauben und Vaterland zu ignorieren, sobald es sich um einen guten Stoff handelt. So viel ist auch der beste Stoff nicht wert. 31 Diese Kritik kann man als realistisch werten. Sie wirkt allerdings, vor allem durch die Berufung aufGlauben und Vaterland, auf Protestantismus und Preußen-Deutschland etwas bieder, ist offen­sichtlich vom einsetzendenKulturkampf tendenziös gefärbt und erin­nert an die flachen Auffassungen Julian Schmidts. Ein umfassenderer kritischer Standpunkt gegenüber dieser in ihrer Art überwältigenden musikalischen literarischenLegende, aus der auch Kleists tiefe Sehn­sucht nach Harmonie und Aufgehobensein spricht, wäre im Falle Fon­tanes denkbar und dem beurteilten Werke angemessener gewesen. In das Wort aus Anlaß derVerlobung in St. Domingo:Konsequente Entwicklung zeichnet alle seine Arbeiten aus 32 sollte namentlichDie heilige Cäcilie .. . eingeschlossen sein.

DenMichael Kohlhaas findet Fontane 1872 wegen derpsychologischen undzeitbildlichenRichtigkeit 33 des Titelhelden alsmärkischem Roßkamm und schroffem Rechtscharakter des 16. Jahrhunderts 3 '' besser als denPrinzen von Homburg;Kostüm, Szenerie und Lokalität seien indessen auch hierfalsch 35 . Hinzukommt der mit Recht beklagte Stilbruch in der zweiten Hälfte der Novelle, von dem aber Kohlhaas als Gestalt glücklicherweise unberührt bleibt. Insgesamt kann Fontane daher imKohlhaas, zum Teil mit Recht,nicht seine (Kleists, Bie.) beste 1 * Erzählung sehen.

Den geringsten Zugang findet er zumBettelweib von Locarno. Das kafkaesk bzw. präexpressionistisch zugespitzte moralistische Mißverhält­nis zwischen begangenem Unrecht und Sühne widerstrebte seinem dialek­tisch-versöhnlichen Sinn, einem Sinn für ..Korrektheit, Ökonomie, Maß und Proportion.

Fontanes Bild des Erzählers Kleist ist also noch disparater und empi­rischer als das des Dramatikers, obgleich doch die Novellistik Kleists vom moralisierenden Gehalt wie von der sachlichen Erzählweise her insgesamt einheitlicher ist als seine Dramatik. Fontane ist im Falle der Erzählungen noch mehr vom unmittelbaren persönlichen Eindruck, von seinen Lebenserfahrungen und seinen ästhetischen Auffassungen, in einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung, ausgegangen und hat dabei insgesamt, besonders aber über dieMarquise von O... und

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