Beziehung Kleist—Büchner her und weist damit objektiv auch auf Gerhart Hauptmanns „novellistische Studie“ über den „Bahnwärter Thiel“ voraus.
Im Urteil über die „Verlobung“ und über die „Marquise“ läßt Fontane Julian Schmidt weit hinter sich, der von der „Verlobung“ einen „widerwärtigen“ Gesamteindruck hat und die „Marquise“ „an die Grenze des Lächerlichen“ angesiedelt findet.
„Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ kritisiert Fontane wegen der „Verherrlichung des Katholizismus“, zu der „sich ein Protestant nicht hergeben darf“ 30 . „Die Kunst hat nicht das Recht, sich vom Leben zu lösen und Glauben und Vaterland zu ignorieren, sobald es sich um einen guten Stoff handelt. So viel ist auch der beste Stoff nicht wert.“ 31 Diese Kritik kann man als realistisch werten. Sie wirkt allerdings, vor allem durch die Berufung auf „Glauben und Vaterland“, auf Protestantismus und Preußen-Deutschland etwas bieder, ist offensichtlich vom einsetzenden „Kulturkampf“ tendenziös gefärbt und erinnert an die flachen Auffassungen Julian Schmidts. Ein umfassenderer kritischer Standpunkt gegenüber dieser in ihrer Art überwältigenden musikalischen literarischen „Legende“, aus der auch Kleists tiefe Sehnsucht nach Harmonie und Aufgehobensein spricht, wäre im Falle Fontanes denkbar und dem beurteilten Werke angemessener gewesen. In das Wort aus Anlaß der „Verlobung in St. Domingo“: „Konsequente Entwicklung zeichnet alle seine Arbeiten aus“ 32 sollte namentlich „Die heilige Cäcilie .. . “ eingeschlossen sein.
Den „Michael Kohlhaas“ findet Fontane 1872 wegen der „psychologischen“ und „zeitbildlichen“ „Richtigkeit“ 33 des Titelhelden als „märkischem Roßkamm und schroffem Rechtscharakter des 16. Jahrhunderts“ 3 '' besser als den „Prinzen von Homburg“; „Kostüm, Szenerie und Lokalität“ seien indessen auch hier „falsch“ 35 . Hinzukommt der mit Recht beklagte Stilbruch in der zweiten Hälfte der Novelle, von dem aber Kohlhaas als Gestalt glücklicherweise unberührt bleibt. Insgesamt kann Fontane daher im „Kohlhaas“, zum Teil mit Recht, „nicht seine (Kleists, Bie.) beste“ 1 * Erzählung sehen.
Den geringsten Zugang findet er zum „Bettelweib von Locarno“. Das kafkaesk bzw. präexpressionistisch zugespitzte moralistische Mißverhältnis zwischen begangenem Unrecht und Sühne widerstrebte seinem dialektisch-versöhnlichen Sinn, einem Sinn für ..Korrektheit“, Ökonomie, Maß und Proportion.
Fontanes Bild des Erzählers Kleist ist also noch disparater und empirischer als das des Dramatikers, obgleich doch die Novellistik Kleists vom moralisierenden Gehalt wie von der sachlichen Erzählweise her insgesamt einheitlicher ist als seine Dramatik. Fontane ist im Falle der Erzählungen noch mehr vom unmittelbaren persönlichen Eindruck, von seinen Lebenserfahrungen und seinen ästhetischen Auffassungen, in einem bestimmten Stadium seiner Entwicklung, ausgegangen und hat dabei insgesamt, besonders aber über die „Marquise von O... “ und
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