eignete sich zunächst nur Fontane an. Hierin spiegeln sich auch Größe und Grenze des Georg Lukäcs, der die heutige weltweite Fontane-Renaissance einleitete, zugleich aber Kleist als Dichter der Dekadenz und als Vorläufer des Modernismus verwarf. Erst heute sind wir auf dem Wege, neben Fontane auch Kleist gerecht zu würdigen. Diese gerechte Würdigung schließt notwendig die Relativierung der unter dem Einfluß von Georg Lukäcs und seinem normativen, unhistorischen Realismus-Begriff zum Teil überbewerteten Urteile Fontanes über Kleist ein. Hans-Heinrich Reuter ist in zwei Punkten zuzustimmen: im Hinblick auf die weitgehende Konstanz von Fontanes Kleist-Bild, mit Ausnahme des offensichtlich gewandelten „Homburg“-Urteils, und hinsichtlich der betonten Subjektivität der Urteile: „Fontanes Kleist-Aufzeichnungen“ würden „über Fontane selbst weit mehr als über Kleist“' 11 aussagen Abzuweichen ist in der Bewertung. Konstanz und Subjektivität zeugen im Falle des Kleist-Bildes eher gegen als für Fontane. Kleist ist insgesamt keine starke Seite, sondern eine „schwache Stelle“ Fontanes. Sein Kleist-Bild ist trotz Objektivierung des „Homburg“-Urteils und trotz wertvoller Urteile über einzelne Novellen nicht auf der Höhe seiner ästhetischen Praxis. Das meint sicherlich auch Joachim Seyppel, wenn er feststellt: „... an Kleist ging er achtlos vorbei.“ /|2 Fontane ging zwar nicht achtlos an Kleist vorbei, aber insgesamt doch ohne den ästhetischen Enthusiasmus und ohne die antipreußische Solidarität, die seinem schriftstellerischen Gesamtwerk, vor allem dem gesellschaftskritischen Alterswerk, entsprochen hätte und die man von Fontane hätte erwarten können' 13 .
Die Ursachen dafür liegen trotzalledem im noch relativ frühen Zeitpunkt der systematischen Kleist-Lektüre, zu dem die produktive Spätentfaltung noch nicht eingesetzt hatte, und in Fontanes auf realistisch-dialektischer Vermittlung aufgebauter weltanschaulich-ästhetischer Konzeption, während Kleist eine antithetisch-dualistische Konzeption vertrat, die moralische Rigorosität und ästhetisches Ungestüm einschloß. Von hier aus fällt auch auf das Urteil Fontanes über den „Prinzen von Homburg“ als Spätwerk des Ausgleichs zwischen individuellen und gesellschaftlichen Interessen ein neues und tieferes Licht, obgleich Fontane den „Prinzen“ aus dieser gesellschaftlichen Sicht nie ausdrücklich bejaht hat.
Quellenangaben und Anmerkungen
1 Die Krummhübler Kleist-Lektüre vom Sommer 1872 war offenbar Fontanes erste tiefere Bekanntschaft mit dem „Prinzen von Homburg“ und Kleists dichterischem Werk überhaupt. Sie steht sicherlich in Zusammenhang mit der Aufnahme der theaterkritischen Tätigkeit für die „Vossische Zeitung“. In ihrer Verspätung ist sie sowohl für die Verkanntheit und Vernachlässigung Kleists in Preußen im allgemeinen wie durch Fontane im besonderen symptomatisch, den offenbar vor 1848 nichts zu Kleist hinführte und den die eigene Entwicklung nach der gescheiterten Revolution von Kleist eher noch wegführte. Erst beim späten Fontane bilden sich allmählich die Voraussetzungen für die Begegnung mit Kleist heraus. Dieser Weg führt von der äußeren theaterkritischen Veranlassung zur inneren und ästhetischen Annäherung, wobei jedoch Fontane in seinem Urteil Kleist nie voll gerecht werden wird, was in seinen „Wanderungen nach Fontane“ „Ein Yankee in der Mark“ auch Joachim Seyppel bedauernd feststellt.
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