Sowohl Tolstoj als auch Fontane besaßen die Fähigkeit, in dem auf den ersten Blick trivialen, gewöhnlichen Ereignis das Typische, Gesetzmäßige zu erkennen. 6
Einige Aspekte des Romans „Elfi Briest“ wurden von breiten Leserschichten und zahlreichen Kritikern anders aufgenommen, als Fontane vermutet hatte. Die Zeitgenossen betrachteten „Effi Briest“ als ein Dokument, das die überlebte Moral der regierenden Schicht des deutschen Reiches, des Adels, und die Unhaltbarkeit des herrschenden Gesellschaftssystems entlarvt. In seinem Brief an Clara Kühnast vom 27. Oktober 1895 hebt Fontane hervor, daß alle Leute mit Effi sympathisieren, obwohl sie die Norm, die „sogenannte Moral“ verletzt hat, während der äußerlich korrekte Innstetten eine entschiedene Verurteilung gerade deshalb erfährt, weil er ihr Träger und Apologet ist. 6 Die Ursache für den Erfolg des Romans liegt darin, daß der Schriftsteller es verstanden hat, in diesem privaten Schicksal das Gesetzmäßige und Typische zu sehen; er wählte für seinen Roman die ihm wesentlichen und wichtigen Ereignisse aus. Sein Ziel war es nicht, die Geschehnisse möglichst genau wiederzugeben; er transponierte die Fakten und führte erdachte Personen ein. Er verdoppelte den Altersunterschied der Eheleute, da derartige Ehen in der damaligen Zeit eine übliche Erscheinung waren. Eine aus dem Leben gegriffene Tatsache wird damit zum Typischen erhoben. W. Müller-Seidel bemerkte in diesem Zusammenhang: „Indem Fontane den Altersunterschied zum Gesellschaftlichen hin erweitert, wird der Eheroman zum Gesellschaftsroman.“ 7 P. Meyer führt aus, daß das Motiv des großen Altersunschieds ursprünglich der Hauptgrund für die Entfremdung zwischen Effi und Instetten gewesen war und erst in späteren Varianten einen zweitrangigen Platz einnahm. 8
Nachdem Effi und Innstetten ihre Hochzeitsreise nach Italien beendet haben, lassen sie sich in dem kleinen Provinzstädtchen Kessin nieder, wo Effis Mann die Stellung eines Landrats bekleidet. Die Tage vergehen, einer so grau und langweilig wie der andere. Effis Schicksal ist die Einsamkeit. Ganz anders hatte sich das Leben des Prototyps der Heldin, Elisabeth von Ardennes, gestaltet. Sie war die Frau eines zu den besten Hoffnungen berechtigenden Offiziers, und nach dem Zeugnis von Zeitgenossen war sie tonangebend in einem Kreise junger Menschen, die sich in ihrem Haus versammelten. 9 Hier folgt Fontane nicht den Tatsachen, sondern verändert sie entsprechend seinen Absichten. Die Szenen aus Effis Leben in Kessin sollen nach der Absicht des Autors die Wirklichkeit der deutschen Provinz zeigen; sie sollen dem Leser eine Vorstellung von dem Landadel vermitteln, was auch durch Einführung solcher Personen wie Sidonie von Grasenabb, Güldenklee, von Borcke u. a. erreicht wurde.
Für die Gestalt des Barons Innstetten hat der Autor einiges aus der Biographie seines Prototyps, Armand von Ardennes, benutzt. So hat der Held des Romans einst in dem Rathenower Husaren-Regiment gedient, er wurde während des Krieges 1870/71 ausgezeichnet, absolvierte schnell seinen Militärdienst und erhielt eine Berufung ins Ministerium. Nach