Schicksal einer Frau hervorzuheben, die sich erkühnt hat, ein ungerechtes Gesetz zu verletzen, das sie zur ewigen Sklaverei bei einem ungeliebten Manne verurteilte, — um den Einzelfall auf die Ebene einer typischen Erscheinung zu heben, läßt Fontane den Roman mit dem Tod der Heldin enden, obwohl ihr Prototyp nach der Trennung von ihrem Gatten im Jahre 1887 Krankenschwester wurde und erst 1952 starb.
Bei einem Vergleich der Romane „Effi Briest“ und „Anna Karenina“ läßt sich die Ähnlichkeit bei einer ganzen Reihe von Motiven und Situationen feststellen. Obwohl Tolstoj und Fontane den Zerfall der Familie als Ergebnis der Untreue der Ehefrau ansahen, gaben sie doch nicht der Heldin die Schuld und machten sie nicht für das Vorgefallene verantwortlich. Die wirkliche Ursache sahen beide Schriftsteller in der Entartung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die letztlich auch die familiären Beziehungen bestimmen. Der sowjetische Literaturwissenschaftler I. N. Uspenskij sagt über Tolstojs Roman: „Die unvergängliche Bedeutung der ,Anna Karenina“ besteht darin, daß hier das Leben, der Kampf und der Untergang der Heldin als Erscheinung tiefer sozialer Konflikte gezeigt werden.“ 10
In Fontanes früheren Romanen lag die Ursache für den Bruch zwischen Eheleuten häufig im Altersunterschied, im Temperament oder in der Nationalität („Graf Petöfy“), in Leichtsinn und Willensschwäche des Paares („Unwiederbringlich“), oder in der Unmöglichkeit weiteren Zusammenlebens mit einem rohen, taktlosen, egoistischen Menschen („L’Adultera“, „Cecile“). Diesen Romanen liegt ein rein psychologischer Konflikt zugrunde. In „Effi Briest“ schwingt sich Fontane zu gesellschaftlichen Verallgemeinerungen auf und verurteilt den Ehevertrag als eine Form von Unterdrückung und Versklavung des Menschen aufs entschiedenste.
Die Ehe Effis wie auch Anna Kareninas wurde nicht aus Liebe geschlossen; Innstetten tritt in Effis Leben auf Betreiben ihrer Eltern, denn er entspricht dem in der Welt des Adels gültigen Ideal: er ist versorgt, er nimmt eine angesehene gesellschaftliche Position ein und er macht eine erfolgreiche Karriere. Annas Ehe mit einem „schon nicht mehr jungen Mann, aber jungem Gouverneur“, mit Alexej Alexandrowitsch Karenin, wurde durch die Bemühungen ihrer Tante, einer reichen Gutsbesitzerin, ermöglicht.
Die Gestalten Karenins und Innstettens haben viel Gemeinsames. In „Anna Karenina“ heißt es von Karenin: „Er ist ja kein Mensch, sondern eine Maschine, und eine böse Maschine, wenn er in Zorn gerät... “ (Band 6, S. 265). 11 Ein andermal sagt Anna über Karenin: „Er ist kein Mensch, er ist eine Amtsmaschine. Er ist kein Mann, kein Mensch, er ist eine Puppe!“ (Band 6, S. 507).
Nach dem dramatischen Abschied von ihrer Tochter erinnert sich Effi des ehemaligen Gatten mit den Worten: „...aber das ist zuviel. Denn das hier, mit dem Kind, das bist nicht du, Gott, der mich strafen will, das ist er, bloß er! Ich habe geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und
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