wenn er für den Reichstag kandidiert. Der verhaltene, wohlerzogene und gebildete Innstetten bleibt im Grunde ein trockener und seelenloser Egoist, der vor allem die eigenen Interessen im Auge hat. Auf den ersten Ruf hin begibt er sich unverzüglich zu Bismarcks Landsitz und läßt Effi in dem leeren und ihr Furcht einflößenden Hause zurück, ohne daran zu denken, daß sie einsam sein und Angst haben könnte. Die Bitte seiner Frau, in ein neues, bequemeres Haus überzusiedeln, schlägt er ab, denn wenn man in der Stadt erfährt, daß Effi vor einem Gespenst erschrocken ist, könnte seine Karriere in Gefahr geraten und er selbst zum Gegenstand des Spottes der Kessiner werden. Schon in seiner Jugend war Innstetten zu dem Schluß gekommen, daß große Karrieren nicht von Dutzendmenschen gemacht werden und daß Exklusivität die beste Empfehlung für das weitere Fortkommen ist. Nach diesen Maximen gestaltete er seine Beziehungen zu anderen Menschen. Diese scheinbare Exklusivität, das scheinbar Ungewöhnliche seines Schicksals, hat einen gewissen Einfluß auf Effis lebhafte Einbildungskraft, es regt ihre Phantasie an; man denke an ihre Erzählung von einer „Liebesgeschichte mit Held und Heldin und zuletzt mit Entsagung“. Das Kessiner „Spukhaus“, in dem der Landrat wohnt, ist ebenfalls etwas Außergewöhnliches; es unterstreicht Innstettens Bedeutung und umgibt ihn in den Augen der naiven Effi mit einer Aureole des Geheimnisvollen. Die Geschichte mit dem Spuk wird jedoch, nach Fontanes Worten, zu einem „Drehpunkt für die ganze Geschichte“: Vieles, was Elfi dunkel ahnt, erhält in ihrem Gespräch mit Crampas während des Spazierganges seine Bestätigung. Ihre Verehrung und die ehrfurchtsvolle Angst vor dem Ehegatten machen einer bitteren Enttäuschung Platz. Effi ist beleidigt, daß Innstetten in ihr eine potentielle Ehebrecherin sieht und Vorsichtsmaßnahmen trifft, indem er sich die Geschichte mit dem Gespenst des Chinesen ausdenkt. Innstetten denkt in jeder Situation — und darin liegt seine große Ähnlichkeit mit Karenin — vor allem daran, die äußeren Formen zu wahren. Sogar die Kunst liebt er nicht um ihrer selbst willen: als Kenner der Literatur, Malerei und Musik zu gelten, gehört für ihn zum guten Ton. Ein Beamter, der eine solche „kleine Schwäche“ hat, gilt als originell; seine Chance, einem der Mächtigen dieser Erde aufzufallen, ist größer. Karenin hält es ebenfalls für seine Pflicht, literarische Neuerscheinungen, politische, philosophische und theologische Bücher zu verfolgen. Für ihn ist Lesen jedoch Selbstzweck; bei passender Gelegenheit vermag er einen in Mode gekommenen Autor oder den Titel eines Aufsehen erregenden Buches zu erwähnen, und schon gilt er als denkender und belesener Mensch. Anna jedoch, die ihn gut kennt, weiß, daß er von Kunst und Poesie und besonders von Musik nichts versteht, sich aber feste Meinungen zugelegt hat: „er liebte es, sich über Shakespeare, Raffael und Beethoven zu unterhalten sowie über die Bedeutung neuer Richtungen in der Poesie und Musik, die er alle verfolgte und mit großer Präzision zu charakterisieren wußte“ (Band 6, S. 158).
Es ist interessant festzustellen, daß auch Innstetten als Musikkenner gilt. Bei der Beschreibung eines Abends im Hause des Landrats in