genug“. 16 Äußerungen gegen den Adel trifft man häufig in Fontanes Briefen aus der Zeit, in der er am Roman „Effi Briest“ arbeitete, in dem er Aussagen von einer Allgemeingültigkeit machte, wie er sie früher nie erreicht hatte. Hier verstand er es, an einem Einzelfall das Gesetzmäßige, Typische aufzuzeigen. Mit wenigen Strichen zeichnet er den Provinzadel, den Eigendünkel, die fanatische Unduldsamkeit, den maßlosen Aplomb und die geistige Armseligkeit der Vertreter dieser Schicht, die ständig seine Ironie herausfordem. Keine einzige Veranstaltung — sei es eine Familienfeier, ein Ball oder ein Verwandtentreffen — kommt ohne hochtrabende patriotische Reden aus, und jeder Redner hält es für seine heilige Pflicht, die Versammelten an die „ehrenvolle Pflicht“ des Adels zu erinnern — „dem Drachen der Revolution das giftige Haupt“ zu „zertreten“ (S. 122).
Die im Roman „Effi Briest“ auftretenden Familien sind aus Berechnung gegründet worden; ihnen liegen rein materielle Interessen zugrunde. So zeichnet Fontane ein allgemeingültiges Bild vom Leben der Gesellschaft seiner Zeit, hinter dem Privaten das Allgemeine sehend. Die Ehepaare Briest, Ring, Effi und Innstetten sind sich innerlich fremd. Von Dramatik erfüllt sind die Schicksale Roswithas und Effis. Indem Fontane Effis Schicksal mit dem Schicksal anderer unglücklicher Frauen ir. Beziehung setzt, gibt er dem Leser zu verstehen, daß sich hier ein Drama von allgemeingültigem Charakter abspielt. Der Autor konzentriert sich ständig auf die Heldin, und demonstriert durch Wiedergabe ihrer Träume und Wünsche überzeugend den unnatürlichen Charakter der Verbindung zwischen Effi und Innstetten, die aber mit den ethischen Normen der bürgerlichen Gesellschaft völlig übereinstimmt.
Die Regeln, von denen sich Wronski, Karenin, Innstetten oder Wüllers- dorf leiten lassen, sind vor langer, langer Zeit von ihrer Klasse ausgearbeitet worden. Das Individuelle dieser Gestalten liegt in der Art und Weise, wie sie die Regeln auffassen und befolgen.
Im Roman „Anna Karenina“ wird der Zeichnung der Charaktere sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet; sie wird ergänzt: „erstens von der Selbstdarstellung (wenn der Held sich selbst beurteilt), zweitens von seiner Darstellung in der positiven und negativen Auffassung anderer Personen, die ihn umgeben und mit denen er zu tun hat.“ 17 Eine solche Darstellung macht die Helden lebendig und gibt ihnen Konturen.
Ähnliche Methoden der Personendarstellung finden wir auch in Fontanes Roman. Er ist ein Meister des lyrischen Frauenporträts. Er gibt eine ziemlich genaue Beschreibung von Effis Äußerem. Im Verlaufe der Erzählung werden ihrem Porträt kleine, neue Züge hinzugefügt. Zu Anfang werden ihr Kleid und ihre „lachenden braunen Augen“ beschrieben. Ihr Äußeres gewinnt Plastizität, indem sie in der Bewegung dargestellt wird. Effi — im ersten Kapitel ein junges Mädchen — ist das Leben selbst, ein Windstoß, „immer am Trapez, immer Tochter der Luft“. Das äußere Bild der Heldin vor der Verlobung wird in der Empfindung der Mutter wiedergegeben; sie „warf einen Blick auf das jugendlich
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