Heft 
(1977) 26
Seite
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reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild frischesten Lebens vor ihr stand (S. 18).

Eine vollkommen andere wird Efüi nach der Trennung von ihrem Mann und besonders nach dem Wiedersehen mit Annie; sie ist gebrochen, dem Untergang geweiht, von den Leiden müde geworden. Ihr Äußeres wird

wiederum in der Empfindung der Eltern wiedergegeben: .so sahen

sich diese freudig verwundert an, freudig verwundert, aber doch auch wehmütig, weil ihnen nicht entgehen konnte, daß es nicht die helle Jugend, sondern eine Verklärtheit war, was der schlanken Erscheinung und den leuchtenden Augen diesen eigentümlichen Ausdruck gab. (S. 293). Der seelische Zusammenbruch der Heldin wird durch die Be­schreibung ihrer Haltung unterstrichen: Müde geworden setzt sie sich auf einen Hürdenzaun, einen Baumstumpf oder eine Chausseewalze und schaut lange auf die sich vor ihr ausbreitende Landschaft,

Sehr lakonisch sind die Porträts der Hauptpersonen des Romans: Über das Äußere von Innstetten wird gesagt, daß erschlank, brünett und von militärischer Haltung ist, hervorgehoben wird seine Art und Weise, während des Gesprächs im Zimmer auf und ab zu gehen. Über von Briest bemerkt der Autor nur beiläufig, daß dieserein wohlkonser­vierter Fünfziger von ausgesprochener Bonhomie sei, Roswitha ist eine ganz ramassierte Person mitguten, braunen Augen, die einen treu und zuversichtlich ansehen. Fontane nimmt äußerer Schönheit, hinter der sich mitunter seelische Härte und Egoismus verbergen, jeglichen Nimbus. Charakteristisch ist die Gegenüberstellung von Innstetten und Gieshübler. Der schöne und imponierende Landrat ist seelenlos und hart, der gebrechliche Apotheker wahrhaft menschlich und gütig. Fontane vereinfachte und schematisierte das Innenleben seiner Personen nicht; er vermochte die feinsten Regungen der menschlichen Seele aufzuspüren.

Ein hervorragender Zug von Tolstojs Realismus bei der Gestaltung seiner Helden ist ein feiner Psychologismus, der bereits Cemyäevskij begei­sterte seine Kunst, dieDialektik der Seele zu enthüllen, die psychischen Vorgänge im Denkprozeß der Helden in allen Widersprüchen zu zeigen. 18 Eine der wichtigsten Aufgaben des Schriftstellers sahen Fontane und Tolstoj in der Wiedergabe individueller Besonderheiten, im Erfassen der Eigenart und Unwiederholbarkeit psychischer Prozesse bei den verschiedenen Menschentypen als eine der Formen der Wider­spiegelung der Wirklichkeit. Sie erkannten die Widersprüche der Per­sönlichkeit nicht als etwas von Anfang an der Natur des Menschen Innewohnendes, sondern als eine objektive Widerspiegelung der Wider­sprüche und Konflikte einer bestimmten Epoche im Bewußtsein des Menschen.

Eines der Hauptmittel, in das Innenleben der Personen einzudringen, sind die Dialoge inEffi Briest, die in engem Zusammenhang zu den Wendepunkten im Leben der Hauptheldin stehen. 19 In den Kapiteln 5 und 24 sind die wichtigsten Gespräche die zwischen Effis Eltern, die sich vergeblich bemühen, ihre Zweifel an der Richtigkeit des von ihnen