Unternommenen zu überwinden. Mutter und Vater müssen einsehen, daß Effi und Geert zu verschiedenartige Charaktere sind. Die für den Adelsstand typischen Begriffe und Vorstellungen sind jedoch zu tief in ihrem Bewußtsein verankert, als daß die Sorge um Effi die Oberhand gewinnen könnte. Sie beruhigen sich damit, daß ihre Tochter und Inn- stetten ja ihrem Kreise angehören und daß Effi eine ausgezeichnete Partie gemacht hat. Erst in der Schlußszene des Romans erkennt die Mutter das Nichtwiedergutzumachende der Tragödie und gibt sich selbst die Schuld daran.
Die geistige Welt Innstettens, eines Menschen von „Pflicht und Ehre“, eines Strebers und Pedanten, der seiner Frau gegenüber stets den Ton eines Lehrers und „Erziehers“ beibehalten hat, wird in seinen Gesprächen mit Effi und Wüllersdorf dargelegt.
Alle Romanfiguren — das Ehepaar von Briest, Baron Innstetten, Crampas, Roswitha, Gieshübler — werden als ausgeprägte Persönlichkeiten mit klar umrissenen Charakterzügen dargestellt. Nur in Effi vollzieht sich im Laufe der Erzählung eine Entwicklung vom jungen Mädchen bis zu der vom Leben gebrochenen und zum Tode verurteilten Frau. Eine gewisse Statik der zweitrangigen Personen läßt die Veränderungen, die in ihrem Seelenleben vor sich gehen, noch schärfer hervortreten. Die Gespräche mit der Mutter, mit Innstetten, Crampas, Dr. Rummschüttel und Pastor Niemeyer zeigen Effi unter den verschiedensten Aspekten: da ist das naive Mädchen, das stolz darauf ist, daß es einen Adligen und Landrat geheiratet hat; und die Gefangene, die sich in der Unfreiheit in Kessin quält, dann die glänzende Dame von Welt, und schließlich die von der Gesellschaft verstoßene ungetreue Ehefrau. Eine wichtige Rolle spielen die Monologe der Heldin, z. B. in der Szene mit Innstetten, als Effi von der bevorstehenden Übersiedlung nach Berlin erfährt und ihrer stürmischen Freude darüber, daß nun das Doppelleben beendet sein wird, Ausdruck gibt, und die leidenschaftliche Anklage, die sie Innstetten und der „Gesellschaft“ nach dem Wiedersehen mit der Tochter entgegenschleudert. In diesem Augenblick erhebt sich Effi Briest zum bewußten Protest gegen die ungerechten Gesetze der Gesellschaft und ihre Moral.
Fontane vermeidet ein eigenes Urteil über Personen und Ereignisse und macht nur mit der Heldin eine Ausnahme, der er offen sein Mitgefühl zum Ausdruck bringt; als Refrain erklingt sein „Arme Effi!" Seine „Objektivität“ erstreckt sich auf den Kreis der negativen Personen (Innstetten, Zwicker, Sidonie von Grasenabb u. a.); durch die Logik ihrer Gestalten führt Fontane den Leser zu bestimmten Schlußfolgerungen. Seine mitfühlenden Töne kommen besonders dort zum Ausdruck, wo es sich um gute und ehrliche, mitunter schwache Menschen handelt, die es nicht verstehen, ihre Würde, ihr Glück und ihre Liebe zu behaupten.
Ein charakteristischer Zug vieler Romane Fontanes ist es, daß die Schicksale der zweitrangigen Personen häufig das Schicksal der Haupt-
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