Alexander Dumas der Jüngere fand das Kolorit der „Macht der Finsternis“ zu düster. Er war der Meinung, die handelnden Personen seien zu wenig fesselnd, ihre Sprache unverständlich. Nikita, so schien es ihm, „zeigte sich anfangs langweilig und am Schluß empörend“. Obwohl er Tolstoj seine Referenz erwies („das ist ein Werk, geplant und ausgeführt in der Manier von Aischylos und Shakespeare...“), war Dumas der Jüngere der Ansicht, das Stück enthalte zuviel Unflat und Grausamkeit. 24
Die Urteile von Victorien Sardou und Emile Augier sind sich in vieler Hinsicht ähnlich: Beide Dramatiker heben Tolstojs Wahrhaftigkeit und schonungslosen Realismus hervor, behaupten aber, „Die Macht der Finsternis“ sei zum Lesen und nicht für eine Aufführung geschrieben worden. 24
Völlig anders beurteilte Theodor Fontane, einer der bekanntesten und maßgebendsten Theaterkritiker Deutschlands in den achtziger und neunziger Jahren, Tolstojs Stück. Leider ist seine eingehende Auseinandersetzung mit dem Drama nur sehr unvollständig überliefert. Wir wissen dies aus einem Brief, den er am 5. Februar 1890 an Georg Friedlaender schrieb und in dem er sich über den verstümmelten Druck seiner Besprechung der Berliner Erstaufführung der „Macht der Finsternis“ beklagte. Es heißt in diesem Brief: „Ich habe seit mehr als sechs Wochen nichts geschrieben als eine längere Kritik über Tolstois ,Macht der Finsternis“, von der mir Stephany dann mehr als % strich, während die Druckerei sich bemühte, durch Doppeldruck einiger Zeilen dies Defizit ein klein wenig wieder zu balancieren, dafür und dadurch aber einen vollkommenen Unsinn herstellte.“ 25
Trotz der Kürzung läßt die Besprechung erkennen, daß Fontane — im Gegensatz zu A. Dumas’ des Jüngeren Behauptung, „die Finsternis laste schwer über allem“ — das am 26. Januar 1890 in der „Freien Bühne“ in Berlin aufgeführte Stück als etwas „heilig Leuchtendes“ begrüßte. Er schrieb:
„Gestern endlich kam das große Licht: ,Die Macht der Finsternis“ von Leo Tolstoi. Die moderne realistische Kunst hat nichts Besseres und, trotzdem wir überall in Nacht blicken, nichts heilig Leuchtenderes aufzuweisen als dieses Stück. Wer über realistische Kunst und ihre Berechtigung oder Nichtberechtigung mitsprechen will, der darf ihre Art nicht an ihren Entartungen demonstrieren; an ein Stück wie dieses muß er herantreten, und dann wollen wir sehen, was er dagegen sagen kann. Ethisch wird er sich davor beugen müssen, und künstlerisch, ein Schlimmstes angenommen, wird er sich vor Fragen gestellt sehen, die vielleicht nicht überall zugunsten des Stückes zu beantworten sind. Aber auch darüber ist schließlich noch zu streiten. Außerdem sind solche Fragen, selbst dem Größten gegenüber, immer dagewesen und werden immer bleiben.
Wie Tolstoi zugeneigt wir uns aber auch stellen mögen, das eine bleibt, daß sein Stück inhaltlich des Reizes der Neuheit entbehrt und daß wir
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