uns erst ganz zuletzt unter einen Kraftstrom von so hinreißender dramatischer Gewalt gestellt sehen, daß diese Kraft als solche zum siegreich Entscheidenden wird und die Frage von alt und neu als winzig daneben verschwieden läßt.
Ja, der fünfte Akt gibt dem Tolstoischen Stück seine Höhe, seinen Sieg, aber freilich, er ist auch nötig, um die relativen Defizits der voraufgegangenen vier Akte zu decken.“ 26
Fontane sah in Tolstoj einen der bedeutendsten Vertreter des Realismus, der die Wahrheit des Lebens, das Bestreben, bei der Aufdeckung der Widersprüche im Leben der russischen Gesellschaft „bis an die Wurzeln zu gehen“, zum Haupt- und Leitprinzip seines Schaffens erkoren hat. Diese bestimmenden Züge im Realismus des großen russischen Schriftstellers erkannte Fontane auch in dem Drama „Die Macht der Finsternis“. Seine Wertschätzung des Stückes stand in vielem der wohlwollenden und begeisterten Aufnahme bei den bedeutendsten progressiven Vertretern der russischen Kultur Ende des 19. Jahrhunderts nahe. Im Januar 1885 schrieb der Kritiker und Kunstwissenschaftler V. V. Stasov an Tolstoj: „Gestern habe ich Ihr Drama erhalten und habe es ganz zu Ende gelesen. Ich sage jetzt nur ein einziges Wort: der gestrige Tag war einer der glücklichsten und erhebendsten in meinem Leben. Etwas Ähnliches habe ich seit vielen, vielen Jahren nicht gelesen, seit jenen Zeiten, als ich das erstemal den ,Lear‘, den .Hamlet“ und den .Othello“ gelesen habe.“ 27 Stasov hob ähnlich wie I. A. Goncarov 28 und G. Uspen- skij 29 den schonungslosen Realismus des Dramas hervor: „Was für eine grenzenlose Wahrheit, welche Tiefe, welche Kraft und Schönheit.“
Der bekannte Regisseur und Theaterreformer V. I. Nemirovic-Danüenko erinnert sich des „erschütternden Eindrucks“, den das kleine Büchlein auf ihn und auf die ihm nahestehenden Schauspieler und progressiven Vertreter des russischen Theaters ausgeübt hat: „Ohne Übertreibung läßt sich sagen, daß ich vor künstlerischer Begeisterung, vor der wundervollen Schilderung der Gestalten erbebte.“ 30
Der Maler Ilja Repin schrieb am 4. Januar 1884 an Tolstoj über das Stück: „Das ist eine derart erschütternde Wahrheit, eine so schonungslose Kraft der Reproduktion des Lebens... Es hinterläßt eine zutiefst moralische, tragische Stimmung. Es ist eine nicht wegzulöschende Lehre des Lebens.“ 31
Der Schriftsteller Vsevolod Garsin stellt — seine Eindrücke von der „Macht der Finsternis“ zusammenfassend — fest, daß dies eine Tragödie in des Wortes höchster Bedeutung sei, denn die wahre Tragödie rufe im Zuschauer Entsetzen und Mitgefühl hervor. 32
A. M. Gor’kij wies 1895/96, als das Verbot des Stückes in Rußland aufgehoben war, entschieden die Vorwürfe zahlreicher Rezensenten zurück, Tolstoj hätte die Farben zu sehr verdichtet und ein zu düsteres Bild gezeichnet. Unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen sei das Leben des Dorfes eben so, und Tolstojs großes Verdienst bestehe gerade darin, das Leben des russischen Dorfes ohne Schönfärberei dargestellt zu haben. 33
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