Heft 
(1977) 26
Seite
109
Einzelbild herunterladen

siliengeschäft, die Wohnung der Familie lag im zweiten Stockwerk. Das Haus war eigentlich ein Hintergebäude von Heilige-Geist-Straße 14, um 1700 erbaut und gehörte damals einem Dr. Bietz, welcher u. a. Theater­arzt des Körtigsstädtischen Theaters war. 1826 war es umgebaut worden, 1894/95 wurde es zusammen mit dem Nachbarhaus zugunsten eines Geschäftshausneubaues abgebrochen. Theodor Fontane schildert das Leben hier, sein Zimmer, seine Mitbewohner, unter denen der spätere Maler und Ornithologe Heinrich Gaetke war, und besonders die unüber­treffliche Aussicht aus dem Fenster der ,Guten Stube' in seinen Erinne­rungen :

Das unter Umständen als Repräsentationsraum dienende größere Zimmer wurde wenig benutzt und kam eigentlich nur als eine Art Belvedere für uns in Betracht. An Sommerabenden lagen wir hier im Fenster und sahen die Spree hinauf und hinunter. Es war mitunter ganz feenhaft und wer dann von der ,Prosa Berlins', von seiner Trivialität und Häßlichkeit hätte sprechen wollen, der hätt einem leid tun können. In dem leisen Abendnebel stieg nach links hin das Bild des Großen Kurfürsten auf und dahinter das Schleusenwerk des Mühlendamms, gegenüber aber lag das Schloß mit seinem ,Grünen Hut' und seinen hier noch vorhandenen gotischen Giebeln, während in der Spree selbst sich zahllose Lichter spiegelten.

Man sieht, wie tief beeindruckt das jugendliche Gemüt des Dichters gewesen sein muß, daß er nach sechzig Jahren, beim Niederschreiben seiner Erinnerungen noch solche begeisterten Worte fand. Er irrt zwar, wenn er vom ,Schleusenwerk des Mühlendamms' schreibt, denn damals standen noch die alten im Jahre 1838 abgebrannten Mühlengebäude und die Schleuse gab es erst seit 1893, aber der romantische Zauber der Spreeseite des alten Schlosses berührte auch uns, selbst als es schon Ruine war.

Aus dieser bevorzugten Wohngegend zog Onkel August zu Ostern 1835 als ,Trockenwohner' in einen Neubau in der Großen Hamburger Straße. Fontane hat auch diese Episode des Abstiegs des Onkels in seinen Erinnerungen festgehalten:

Dieser Neubau war ein Doppelhaus, dessen gemeinschaftlicher Hof durch eine traurig aussehende niedrige Mauer in zwei Längs­hälften geteilt wurde. Trotzdem alles ganz neu war, war alles auch schon wieder wie halb verfallen, häßlich und gemein, und wie der Bau, so war auch ein paar Ausnahmen abgerechnet die gesamte Bewohnerschaft dieser elenden Mietskaserne. Lauter gescheiterte Leute hatten hier als Trockenwohner ein billiges Unterkommen gefunden: arme Künstler, noch ärmere Schriftstel­ler und bankrotte Kaufleute, namentlich aber Bürgermeister und Justizkommissarien aus kleinen Städten, die sich zur Kassenfrage freier als statthaft gestellt hatten. Eine Gesamtgesellschaft, in die, was mir damals glücklicherweise noch ein Geheimnis war, mein