Heft 
(1977) 26
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neben mir die Charite, gegenüber die Tierarzneischule. Mein Drei­treppenhochzimmer hatte natürlich jenes bekannte Seegrassofa, dessen schwarzgeblümter und außerdem stichlicher Wollstoff nur deshalb nicht mehr stach, weil schon so viele drauf gelegen hatten. Die Wirtin war ein Mustertyp der damaligen Berliner Philöse: blaß, kränklich, schmuddlig und verhungert. Über mir, auf dem Boden, war noch eine Mansardenstube, drin ganz arme Leute wohnten, die, wenn ich arbeiten wollte, gerade ihr Holz spellten, um aus einem Scheit ein Dutzend zu machen. Es waren aber gute Menschen, denn als ich ihnen sagte: ,Das Holzspellen führe mir immer so in den Kopf, ließen sies, ein Fall, den ich, als einzig dastehend in meinen Berliner Mietserfahrungen, hier doch notieren muß. Der richtige Berliner klopft dann erst recht. ,Was der sich einbildet...

Das Haus Luisenstraße 12 war wie die benachbarten Häuser auf der Chariteseite in den Jahren 1840/41 erbaut worden. Der Architekt war Ludwig Hesse, der Erbauer der gegenüberliegenden Tierarzneischule. Nr. 12 wurde zusammen mit Nr. 11 und 13 im Jahre 1909 abgebrochen, um dem Neubau der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Charite Platz zu machen, die sich jetzt noch hier befindet.

Seinem Freund Bernhard von Lepel schreibt Fontane am 5. Oktober 1849 über sein Zimmer seine trübe Stimmung:

Da sitz ich denn wieder, und koste die Reize des ,Chambre gamie. Die knarrende Bettstelle, die mitleidsvoll aus den Fugen geht, um einer obdachlosen Wanzenfamilie ein Unterkommen zu bieten, der wankelmüthige Nachttisch, das geviertheilte Hand­tuch, die stereotypen Schildereien: Kaiser Nicolaus, und Christus am Kreuz, alles ist wieder da, mir Auge und Herz zu erquicken. O, es ist schön! Kannst Du mir nicht sagen, mein lieber Lepel, warum ich zu gar nichts komme? Ich mache so geringe Ansprüche, und doch, selbst das Kleinste wird mir verweigert. 400 Thaler, worauf mit Recht der Spruch erfunden ist: ,zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel ersehne ich nun schon seit Jahr und Tag, und obschon ich gar nicht wählerisch bin, obschon ich all und jede Subaltem-Stellung, die nicht besondere Fachkenntnisse erheischt, mit Freuden annehmen würde, dennoch ist es nicht möglich, auch nur ein solches Minimum zu ergattern.

Des Dichters verzweifelte Stimmung hielt zwar nicht dauernd an, aber die ersehnte Stellung, die ihm die Basis für die Gründung eines eigenen Hausstandes geben sollte, erhielt er erst im August 1850 mit der durch seinen väterlichen Freund Wilhelm von Merckel ausgesprochenen Berufung als Lektor in das Literarische Kabinett beim preußischen Innenministerium. Endlich wurde die Heirat möglich. Über seine Hoch­zeit lassen wir am besten Fontane selbst sprechen:

Am 15. Oktober war Polterabend gewesen, am 16. war Hochzeit. Ich habe viele hübsche Hochzeiten mitgemacht, aber keine hüb-

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