Diesmal war man nicht in einen Neubau gezogen; das Haus Hirscheistraße 14 stand schon seit 1842, es war eines der ersten Häuser, die in dem damals neu entstehenden Geheimratsviertel erbaut worden waren. Als Fontanes dorthin zogen, stand die Stadtmauer noch, obwohl sie bereits keine Funktion mehr ausübte, da die Steuergrenze bereits seit 1861 weiter draußen lag. Von der Hirscheistraße gesehen jenseits der Stadtmauer, an ihrer Innenseite, fuhr damals noch der „Verbinder“, die 1851 angelegte Verbindungsbahn für den Gütertransport zu den außerhalb der Stadt liegenden Bahnhöfen. Erst nach Fertigstellung der Ringbahn am 17. Juli 1871 wurde der Verkehr auf dieser Bahn eingestellt. In den Kriegen 1864 und 1866 konnten Fontanes von ihren Fenstern aus die Truppentransporte vorüberrollen sehen. Im ersten Wohnjahr in der Hirscheistraße wurde am 5. Februar 1864 des Dichters letztes Kind, der Sohn Friedrich, geboren. Zur gleichen Zeit schrieb der Dichter die ersten Kapitel seines erst 1877 vollendeten Romans „Vor dem Sturm“. Er erinnert sich später:
„Das Buch ist schon aus dem Winter 1863/64, und ich schrieb abends und nachts die ersten Kapitel — während die österreichischen Brigaden unter meinem Fenster vorüberfuhren; und wenn zuletzt die Geschütze kamen, zitterte das ganze Haus, und ich lief ans Fenster und sah auf das wunderbare Bild: die Lowries, die Kanonen, die Leute hingestreckt auf die Lafetten, und Ellies von einem trüben Gaslicht überflutet.“
Zur Erinnerung an die entscheidende Schlacht des Krieges von 1860 erhielt die Hirscheistraße am 16. Oktober 1867 den Namen „Königgrätzer Straße“, Fontanes Haus die neue Nr. 25. Nach dem Tode Stresemanns im Jahre 1929 erhielt die Straße dessen Namen; 1935 wurde sie in Saarlandstraße und 1946 wieder in Stresemannstraße umbenannt. Fon- taes Wohnhaus wurde im zweiten Weltkrieg zerstört.
Wir lassen hier den Auszug aus den Lebenserinnerungen Theodor Fontanes jr. folgen, der besonders viel zu der elterlichen Wohnung Hirscheistraße 14/Königgrätzer Straße 25 zu berichten hat:
Aus den Lebenserinnerungen von Theodor Fontane jr. — 1856—1933 — verfaßt zwischen 1923 und 1932.
Bellevuestraße 16:
Zur Zeit meiner Geburt und noch auf viele Jahre hin eine stille, vornehme Straße, unter deren fast allzu dichten Kastanien man wie in einem Dom dahinwandelte, die sich aus ihrer gegenwärtigen Gestalt gar nicht wieder in ihre damalige zurückdenken läßt. Zwar hat auch heute noch dort der Reichtum seine Stätte aufgebaut, aber in der aufdringlichen Weise der Emporkömmlinge. Es ist eine Geschäftsstraße geworden. — Wie die von tiefen Vorgärten abgeschlossenen Villen der wohlhabenden Bürger Berlins teils verschwunden teils zu Erwerbszwecken umgebaut worden sind, so auch mein Geburtshaus, das als ein Teil des Hotels Esplanade schwerlich meine Geburtsstätte hätte werden können. Dazu
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