Heft 
(1977) 26
Seite
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bringungsfragen noch sehr bescheiden in der jungen Reichshauptstadt. Dank sowohl den wirtschaftlichen Talenten meiner Mutter als auch ihrer auf Repräsentation gestellten Natur verliefen die freilich wohl seltenen Gesellschaften bei uns nicht nur geistig angeregt, sondern machten auch in der Wirkung heller Beleuchtung und guter Verpflegung einen höchst anständigen feierlichen Eindruck. Die pekuniären Ver­hältnisse meiner Eltern, welche von den meisten ihrer z. T. in recht guter Lage befindlichen Freunden erheblich überboten wurden, andererseits aber ihre gesellschaftlichen Talente darin besonders meine Mutter einen ganz ungewöhnlichen Charme entwickelte machen es begreif­lich, daß sie sehr viel häufiger Gäste als Wirte waren. Über beide ist mir späterhin viel Schmeichelhaftes erzählt worden, meine eigenen Eindrücke davon aus dieser Zeit beschränken sich auf ein olivbräunliches Seidenkleid mit Falbeln, das meine Mutter häufig zu Gesellschaften trug und gewiß öfter anziehen mußte als ihr lieb gewesen sein mag, während ich meine darin so stattliche Mama mit immer gleicher Bewunderung anstaunte.

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Dem Frieden von Frankfurt im Mai 1871 folgten die Gründerjahre, eine wirtschaftliche Blüte- aber auch Scheinblütezeit, in deren Strudel auch Theodor Fontane ein klein wenig geriet. Ein Teil der Scheinblüte spielte sich auf dem Gebiet der Bodenspekulation ab; Terrains und Häuser wurden günstig gekauft und mit überhohem Gewinn wieder verkauft. Darunter war auch das Eckhaus Königgrä'tzer Straße 25 mit Fontanes Wohnung. Sein Eigentümer, Ziegeleibesitzer Fritze aus Glindow an der Havel, verkaufte es mit Wirkung vom September 1872 an den Bankier F. A. Hackel und die Handelsgesellschaft Siegheim & Avellis. Lassen wir Fontane selbst sprechen; so schreibt er am 30. März 1872 an Mathilde von Rohr:

Meine Frau ist jetzt vor allem in Wohnungsnöthen. Ich weiß nicht, ob ich ihnen schon schrieb, daß unser Haus verkauft ist, daß die Miethen mindestens verdoppelt werden und daß wir also alle ziehn. Eine vorzügliche Wohnung in der Dessauer Straße hat uns Tante Merckel vorgestern weggeschnappt. Ich persönlich theile nicht die allgemeinen Ängste; wir müssen natürlich 3 Treppen hoch ziehen und lOO.Thlr. mehr bezahlen; cest tout. Dafür kriegt man aber was.

Über den weiteren Verlauf der Angelegenheit erfahren wir dann am 25. September 1872 wieder an Mathilde von Rohr:

Unser Leben beginnt sich, jetzt, wo alle ausgeflogenen Vögel heimkehren, wieder in der alten Winterweise zu gestalten. Die großen Gesellschaften sind freilich noch in Rückstand, was ein wahres Glück ist. Vorläufig beschäftigt uns allerpersönlichst unser in etwa 8 Tagen bevorstehender Umzug. Wir freuen uns auf den Wechsel der Scene. Es waren 9 glückliche Jahre, die wir in dieser