Heft 
(1977) 26
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seineForcen, bisweilen noch stärker hervortreten als die vollendeten Werke. So hat der RomanentwurfMelusine von Cadoudal, den zuerst Gotthard Erler veröffentlicht und kommentiert hat (in Fontane-Blätter II, 1, 1969) und der hier unter denErgänzungen abgedruckt ist, Bedeutung nicht nur als eine Station auf dem Wege der Verarbeitung des Melusine-Motivs durch Fontane und als Vorstufe zur Rolf-Krake- Episode imStechlin, sondern er zeigt auch in konzentrierter Weise folgende für Fontanes literarisches Schaffen signifikante Züge: Unerheb­lichkeit der äußeren Handlung, sog.kleiner Stil, ironisch-humoristische Unterkühlung, Causerie, ansatzweiser, halber Sezessionismus der Figuren (aus Religion bzw. Armee) und das Kleine als Quelle alles Großen. Diese Wesentlichkeit und Repräsentanz begründet den hohen Reiz der Entwürfe für den Fontane-Kenner.

Die Frage nach der Ursache des Fragmentcharakters der Entwürfe muß der Leser meistens selbst zu beantworten versuchen. In einem Falle gibt das Nachwort Auskunft. In einem anderen Falle bietet der material­reiche Kommentar Julius Petersens, dessen Wiedergabe zu den großen Verdiensten der Anmerkungen gehört, gewisse, jedoch nicht ausreichende Anhaltspunkte. So scheint der Fragmentcharakter vonAllerlei Glück weniger durch die fehlende Aussicht auf Abdruck und Honorar verursacht zu sein, wie das Petersen offenbar annimmt, sondern durch das Fehlen einer wirklich tragenden und ideologisch verbindlichen Romanidee und durch zu große Disparatheit des dichterischen Materials. Insgesamt ist man in der Frage der Ursachen des Fragmentcharakters offensichtlich dem bis zu gewissem Grade zweifellos verständlichen Prinzip gefolgt, daß in diesem Falle Beschränkung angemessener sei als Mutmaßung. Das Nachwort stammt also von Hermann Kunisch, den noch Kurt Schrei­nert um Betreuung der weiteren Nymphenburger Fontane-Bände gebeten hatte. Es bereitet Genugtuung, den Rilke-Interpreten auf dem Wege zu Fontane zu sehen. Die Beziehung RilkeFontane, die vom Verfasser des Nachwortes nicht hergestellt wird, ist übrigens nicht schlechthin abwegig. Zunächst hat Rilke Fontane selbst noch seine Reverenz erwiesen (vgl. Fontane-Blätter III, 6, 1975). Die Tatsache, daß Fontane Rilke aufgrund seiner frühen Gedichte für weiblichen Geschlechts hielt, sollte dabei nicht überbetont werden. Auch Rilke rang wie Fontane im dichte­rischen Werk um den ganzen Menschen, zum Teil sogar mit Fontane verwandten Mitteln, zum Beispiel mit der Vorliebe für die Nuance und mit hoher sprachlicher Geschmeidigkeit. Rilke vermochte jedoch infolge seiner Ahistorizität und Isoliertheit vom gesellschaftlichen Prozeß die realistischen Tradition des 19. Jahrhunderts nicht zu bewahren und weiterzuführen, sondern verfiel angesichts der extremen imperialistischen Entfremdung sogar der Poetisierung von Verdinglichungserscheinungen. Fontanes Neigung zurVerklärung schlug hier in einen entfremdeten Humanismus um, wenn der paradoxe Begriff an dieser Stelle einmal erlaubt ist.

Beispielhafte Repräsentanz namentlich in inhaltlicher Hinsicht besitzt auch das erstmals von Walter Keitel abgedruckte FragmentDie preußi-

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