Heft 
(1978) 27
Seite
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Die uns heute vorliegenden Materialien vermitteln ein differenziertes Bild von der Beziehung, die Fontane zum damals zeitgenössischen bildkünstlerischen Schaffen hatte, in der auch Gegensätzliches nicht fehlte.

Viele Beiträge Fontanes verraten Unsicherheit in der Bewertung und Interpretation von Bildkunstwerken, Kriterien der Literaturkritik wur­den vielfach ohne die Besonderheiten der bildenden Kunst hinlänglich zu berücksichtigen, übertragen, Qualitätsunterschiede wurden teilweise nicht empfunden. Daneben enthält das gleiche Material eine ganze Reihe von Äußerungen, die ein sehr feines Qualitätsempfinden beweisen und die zeigen, daß er in der Lage war, spezifische Probleme der bildkünst­lerischen Gestaltung zu erfassen und richtig zu beurteilen. Er erweist sich in seinen Ausstellungsbesprechungen bei der Beurteilung und Inter­pretation menschlicher Bezüge innerhalb eines Bildkunstwerkes als scharfer Beobachter und Kritiker, so empfindlich in bezug auf Emotionen, die nicht überzeugen, wie in bezug auf Inkonsequenzen und Ungereimt­heiten im dargestellten Handlungszusammenhang. Seine vielfach vom Literarischen hergeleiteten Bewertungsmaßstäbe sind zwar oft nicht ausreichend, um Bildkunstwerke in ihrer gesamten Wirksamkeit zu erfassen, aber sie führen doch insbesondere in der literarisch kon­zipierten Bildkunst des 19 Jahrhunderts zu gültigen Teilerkenntnissen. Auf ein feines Gefühl für die Spezifik der bildenden Kunst deutet die Tatsache, daß Fontane einen so besonderen, seiner Zeit vorauseilenden Künstler, wie Karl Blechen, zu würdigen wußte, daß er Menzels Eigen­art und Wollen verstand und die Bedeutung von Max Liebermann erkannte.

Der Hinweis von Helmuth Nürnberger auf Fontanes Laientum auf dem Gebiet der bildenden Kunst ist berechtigt. Es tritt u. a. bei der stilistischen Zuordnung historischer Kunstwerke mehrfach zutage. Hier fehlten ihm die kunsthistorischen Kenntnisse. Bei der Bewertung zeitgenössischer Bildkunstwerke erweist sich die Grenze zwischen Laientum und kunstwissenschaftlichem Fachurteil im allgemeinen als llicßender. Fehlte Fontane einerseits eine kunsthistorische Ausbildung und Übung in der Betrachtung von Bildkunstwerken, so hatte er doch andrerseits dem durchschnittlichen Laien und auch dem reinen Theo­retiker eines voraus: Er war selbst Künstler, sein Kunstsinn war durch eigene Erfahrung geschult. Wenn Ziele und Wege in der Literatur und in der bildenden Kunst auch unterschiedlich sind, so führen doch durch eigenes künstlerisches Schaffen auf einem Gebiet gewonnene Einsichten vielfach auch zum besseren Verständnis anderer Kunstzweige. Und Helmuth Nürnberger geht zu weit, indem er Fontane eine eigentliche Anlage zur Beurteilung von Bildkunstwerken abspricht. 3 Der Unterschied zwischen der Bewertung zeitgenössischer Werke der bildenden Kunst durch die Fachleute und Fontanes Kunstkritiken ist tatsächlich oft nicht so gravierend.

Unsicherheiten und Irrtümer finden sich in der Bewertung zeitgenös­sischer Bildkunstwerke auch bei den bedeutendsten und anerkanntesten

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