Heft 
(1978) 27
Seite
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Kunsthistorikern. Sie sind eine normale Erscheinung. Qualitätsunter­schiede in der Malerei, die heute klar überschaubar sind, waren es damals noch nicht. Die Maßstäbe, nach denen historische Bildkunstwerke beurteilt wurden, reichten zur Beurteilung neu entstandener Werke oft nicht aus, zumal die Malerei im 19. Jahrhundert eine rasche und dynamische Entwicklung erfahren hat. Daß Fontane qualitative Unter­schiede zwischen Malern wie William Turner, Eduard Hildebrandt und Oswald Achenbach, um einige Beispiele zu nennen, damals bei weitem nicht so klar erkannt hat, wie sie sich aus heutiger Sicht darstellen, bietet deshalb keinen hinlänglichen Grund, sein Qualitätsempfinden für Werke der bildenden Kunst generell infrage zu stellen.

Für die Bewertung zeitgenössischer Bildkunstwerke bedurfte es auch neuer Maßstäbe, die sich jedoch erst allmählich herausbildeten. Diese Problematik wurde weder in den Beiträgen von Fürst und Vogt noch in Nürnbergers Einschätzung genügend berücksichtigt.

Naturalismus und Realismus

Das Schöne und das Häßliche Naturwahrheit und künstlerische Wahrheit

In Fontanes dichtungstheoretischen Äußerungen spielt die Auseinander­setzung mit dem Naturalismus eine verhältnismäßig bedeutende Rolle. Fontane hat sich damit in verschiedenen Lebensaltern wiederholt befaßt, und im Wandel seines Urteils spiegelt sich die Entwicklung seiner künstlerisch-ästhetischen Vorstellungen und seines Geschichts- und Menschenbildes.

Der Begriff Naturalismus findet auch in seinen Kunstkritiken der sech­ziger Jahre vielfach Verwendung, hat hier aber eine andere Bedeutung als in seinen späteren dichtungstheoretischen Darlegungen. Der Unter­schied ergibt sich aus dem Gegenstände selbst. Die Gemälde, deren Naturalismus er er bezeichnet ihn auch als mißverstandenen Rea­lismus in den Berliner Ausstellungsrezensionen kritisierte, haben einen anderen Charakter als der europäische Naturalismus der achtziger Jahre, Gegenstand vieler literaturkritischer Beiträge Fontanes. Jener stellte eine relativ geschlossene historische Erscheinung dar,' die als Reaktion auf die Kunstentwicklung in den siebziger Jahren und im Zusammenhang mit den sich verschärfenden sozialen Widersprüchen zu sehen ist. Es war eine Kunst, die protestieren wollte und deren sozialer Protest sich in vielen Werken bis zur sozialen Anklage steigerte. Bei den von Fontane besprochenen Genre-, Historien-, Porträt' und Land­schaftsdarstellungen in den sechziger Jahren handelt es sich um Bildwerke von herkömmlicher Thematik, sozialanklägerische Aspekte fanden darin keinen Niederschlag.

Die Historienmaler Karl Becker (18201900), Wilhelm von Catnphausen (18181885),Maksymilian Piotrowsky (18131875) und Karl von Piloty (1826-1886), die Genremaler Wilhelm Gentz (1822-1890) und Friedrich Kraus (18261894), die Landschaftsmaler Stanislaus Graf von Ralckreuth

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