Heft 
(1978) 27
Seite
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In den erwähnten englischen Kunstberichten verlangt er ein Abbild der Wirklichkeit, aber unter Verzicht auf die rohe Wirklichkeit.

Die Beschreibung der GenrebilderDer blinde Fiedler undDas Dorf- fest von David Wilkie sind charakteristische Beispiele dafür:Wir haben in diesen nicht leicht zu überschätzenden Arbeiten die Wirklich­keit ohne Roheit, wir haben den Hauch des Idealen ohne Einbuße an Wahrheit, wir haben schlichte, leibhaftige Menschen, aber wir haben sie in Sonntagsstimmung und in verklärender Freude. Nicht die gewöhn­liche häusliche Verrichtung, nicht das Gleichgültige und platt Alltägliche tritt uns entgegen, das nur durch Schärfe der Auffassung uns frappiert, sondern das innerste heiligste lieben des Volkes offenbart sich vor unseren Blicken. Eine Fülle von Gemüt erschließt sich vor uns, und die Heiterkeit, die über uns kommt, ist eine geweihte wie die Heiterkeit des Bildes selbst. 5

Fontane vertritt damit eine Kunstauffassung, deren Bemühen um die Wahrung humanistischer Werte noch stark mit Idealisierungstendenzen vermischt ist. Es wird eine spätromantische Welt mit ihrer realistischen Treue und menschlichen Wärme und Schlichtheit aber auch mit ihren* Hang zur Idylle bejaht. Das einfache Volk erscheint in dieser Welt herausgelöst aus der harten Wirklichkeit des Alltags in einer liebens­würdigen sauberen Sonntags- oder Feiertagsatmosphäre. Neben dem Einfluß dichtungstheoretischer Konzeptionen wirken bei der Beurteilung von Bildkunstwerken auch klassizistische und romantische bildkünst­lerische Ideale noch nach.

Eine kaum verhüllte Forderung nach Idealisierung der Realität erhebt Fontane 1856 in der Rezension des BildesMarie Antoinettes Abschied von ihrem Sohn von Edward Matthew Ward. Er wirft dem Maler vor, er hätte bei der Darstellung der Mitglieder des Revolutionskomitees nach der Seite des Häßlichen übertrieben. Man wisse zwar, daß es Gesindel war, ob es aber solcher Abhub gewesen, sei zweifelhaft, zu­mindest hätte der Künstler die Pflicht gehabt, zu mäßigen, zu dämpfen. D. h., es wurde dem Künstler anheimgestellt, die Wirklichkeit zu idealisieren, wenn er damit der Häßlichkeit entgehen kann. Die Rezen­sion spiegelt zugleich den engen Zusammenhang zwischen Fontanes politisch-weltanschaulicher Haltung und seinen Kunstinterpretationen. In der Ausdeutung der französischen Revolution zeigt sich dieselbe Anlehnung an konservative Deutungen wie in seinem GedichtEin Ball in Paris, das 1850 entstand. Robespierre wird darin alsHyänen­mensch und Marat alsTyrann charakterisiert, für den das Messer der Charlotte Cordais noch zu rein gewesen sei.

Die ausgesprochenen Idealisierungstendenzen treten in den Kunstkritiken der sechziger Jahre bereits zurück. Die künstlerischen Erfahrungen, die Fontane durch die Arbeit an den englischen und schottischen Reise- beschreibungen und an denWanderungen durch die Mark Brandenburg gewonnen hatte, führten zu gesicherteren Kunsturteilen.

Das erhellt der Vergleich der Besprechung des Bildes von Ward mit Fontanes Ausführungen zu einem Gemälde von Maksymilian Piotrowsky

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