zum gleichen Thema. Der Beitrag erschien 1864, das Gemälde ist betitelt: „Der eingekerkerten Marie-Antoinette wird der Dauphin entrissen.“ Auch hier wendet Fontane sich gegen die Häßlichkeit in der Darstellung der Revolutionäre, rät dem Künstler aber nicht wie 1856 Mäßigung an, sondern sucht ihm eine Verzerrung der Wahrheit nachzuweisen. Er schreibt, die Hergänge wären zum Teil pathologisch gewesen, aber wie verrannt die Revolutionäre auch gewesen seien, sie hätten doch unter dem Einfluß einer Idee gestanden „ ... und diese Idee, phrasenhaft oder nicht, drückte ihnen einen gewissen Stempel auf. Es war ein Irrlicht, was aus ihnen leuchtete, aber es leuchtete doch; es war ein Geistiges da, das ihre Häßlichkeit verschönte, ihrem Fanatismus momentan eineWeihe lieh.“ Die Interpretation weist auf jene Wandlungen, die sich in den Geschichtsvorstellungen Fontanes in den sechziger Jahren trotz der konservativen Bindungen bereits andeuten. Gemessen an den vielfach extrem schwankenden, von Stimmungen beeinflußten geschichtlichen Vorstellungen der Krisenjahre nach dem Scheitern der Revolution von 1848, ist sein Urteil sachlicher, kritischer, kenntnisreicher. Aus dieser gereiften Erkenntnis heraus, ist er nicht mehr bereit, alle Vorgänge der französischen Revolution in Bausch und Bogen zu verurteilen.
Die Revolutionäre werden nicht mehr als bloßes Gesindel bezeichnet, das man um der Kunst willen milder zeichnen müsse, sondern sie werden als Vertreter einer Idee angesehen, die er zwar nicht billigt, deren Verkündern er aber subjektiv positives Wollen und Wahrheit der Empfindungen zugesteht. Parallel dazu sind auch seine künstlerisch- ästhetischen Ansprüche differenzierter geworden. Die Wirklichkeit als Gegenstand der Kunst wird jetzt als Einheit von Schönem und Häßlichem begriffen und nicht mehr unter dem Aspekt einer Auswahl, die auf den vollständigen Verzicht der Wiedergabe des Häßlichen gerichtet ist.
Darin deuten sich bereits Vorstellungen an, die Fontane in den literaturkritischen Betrachtungen über Zola und Turgenjew zu Beginn der achtziger Jahre formuliert hat. Im einem Brief vom 14. Juni 1883 schreibt er an seine Frau über Zolas „La fortune des Rougon“: „So ist das Leben nicht, und wenn es so wäre, so müßte der verklärende Schönheitsschleier dafür geschaffen werden. Aber dies ,erst schaffen* ist gar nicht nötig, die Schönheit ist da, man muß nur ein Auge dafür haben oder es wenigstens nicht absichtlich verschließen. Der echte Realismus wird auch immer schönheitsvoll sein, denn das Schöne, Gott sei Dank, gehört dem Leben gerade so gut an wie das Häßliche. Vielleicht ist es noch nicht einmal erwiesen, daß das Häßliche präponderiert.“ 8 In ähnlicher Weise äußert er sich 1883 in einem Brief an seine Tochter. Sich mit Turgenjew vergleichend vermerkt er, daß seine eigene Schreibweise von zwei Dingen frei wäre, „von Übertreibungen überhaupt und vor allem von Übertreibungen nach der Seite des Häßlichen hin. Ich bin kein Pessimist, gehe dem Traurigen nicht nach, befleißige mich ''ielmehr, alles in jenen Verhältnissen und Prozentsätzen zu belassen, die das Leben selbst seinen Erscheinungen gibt.“ 9
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