D. h., die Wiedergabe des Häßlichen wird nicht, wie in dem Aufsatz von 1853, ausgeklammert; Fontane wendet sich jedoch gegen die Vorherrschaft des Häßlichen. Die Wirklichkeit gilt ihm in jedem Falle auch als Quelle der Schönheit, und er verlangt von der Kunst, daß sie nicht, nur die Schattenseiten sondern auch die Lichtseiten des menschlichen Daseins erfaßt und wiedergibt. Das Häßliche soll nicht idealisiert aber relativiert, dem Schönen untergeordnet werden. Dieser Gedanke der Einordnung der Details in ein Ganzes, in dem das menschlich Schöne herausgestellt bleibt, liegt seiner immer wieder erhobenen Forderung nach „poetischer Verklärung“ der Wirklichkeit im Kunstwerk zugrunde.
In der Abgrenzung seines Realismusbegriffes in der bildenden Kirnst von zeitgleichen anderen Realismusauffassungen, verlangt er von der bildenden Kunst, sie solle sich an der Natur orientieren, die Wirklichkeit wiedergeben, aber nicht mechanisch abbilden. Die damals weit verbreitete Anerkennung einer „Naturwahrheit“ — gemeint ist eine lediglich exakte Wiedergabe der äußeren Erscheinung der Wirklichkeit — als alleiniges Kriterium einer realistischen Bildkunst, bezeichnet Fontane als mißverstandenen Realismus oder Naturalismus. Die Termini wechseln mehrfach, ihr Sinn ergibt sich jedoch aus dem jeweiligen Zusammenhang. Er verlangt vom Künstler eine tiefere Wahrheit, die vor allem das Gute und Schöne im Leben mit sieht. „Alle vorgeblichen Realisten“, schreibt er, würden den Fehler machen, daß sie alles mit gleicher Wichtigkeit behandeln. 10 Sie würden nur die „äußerliche Wahrheit der Dinge“ gelten lassen, man müsse in der Kunst „so lange suchen, bis man die Wahrheit findet, die paßt.“ 11
Einen nahezu programmatischen Charakter hinsichtlich der Abgrenzung seines Realismusbegriffes vom „Naturalismus“ in der bildenden Kunst hat sein Beitrag über den Tiermaler Teutwart Schmitson in „Männer der Zeit“ (1862). Er charakterisiert den Naturalismus darin als mechanisches Abbilden mit einer gleichrangigen Behandlung von Wesentlichem und Unwesentlichem. Ein wichtiges Merkmal des Realismus hingegen wäre eine absichtsvolle Auswahl und die Konzentration auf Wesentliches: „Schmitson ist Realist, doch nicht ein solcher, der die Natur in jeder zufälligen Erscheinung als für die künstlerische Darstellung geeignet ansieht; ebensowenig erkennt er die bloße Korrektheit, die sogenannte Naturwahrheit als Ziel seines Strebens. Die äußerliche Wahrheit ist ihm nur Bedingung: Konzentrierung eines Natureindrucks und Darstellung desselben mit Hinweglassung zufälliger Nebendinge, das ist der Realismus, den er vertritt. Realismus, nicht Naturalismus; eine ideale Wirklichkeit, aber nichts Idealisiertes weder in Form noch Farbe.“ 12
Bloße Naturwahrheit, Verzicht auf absichtsvolle, gestaltende Umformung durch den Künstler, Herausstellen des Häßlichen, Mangel an emotionaler Kraft und menschlicher Wärme, das sind für Fontane Merkmale jenes Naturalismus in der bildenden Kunst der sechziger Jahre, mit dem er sich immer wieder kritisch auseinandersetzt. Er fordert eine künstlerische Wahrheit, bei der der Künstler aus der Wirklichkeit auswählt, reduziert
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