Stoff und künstlerische Gestaltung
Der enge Zusammenhang der Entwicklung der künstlerischen Vorstellungen Fontanes mit der Entwicklung seines Geschichts- und Menschenbildes zeigt sich auch in der spezielleren Frage der Beurteilung des Stofflichen in der Relation zur künstlerischen Gestaltung der Bildkunstwerke. Diese Problematik hat er vielfach bei der Rezension von Historienbildern aufgegriifen.
Dem Verzicht auf die Behandlung der nach der offiziellen Geschichtsschreibung bedeutsamsten historischen Stoffe in den „Wanderungen“ entspricht eine auffällige Skepsis gegenüber den großen Historienbildern in Fontanes Ausstellungsrezensionen in den sechziger und siebziger Jahren. Diese Skepsis ist nicht von Anbeginn dagewesen, sie verdichtet sich mit der Entwicklung seines kritischen Vermögens und weitet sich zu einer von der Frühzeit verschiedenen Bewertung des Stofflichen in der Kunst überhaupt.
Fontane hat zwar schon 1852 die belgische Malerschule im Vergleich zur deutschen gelobt, sie hätte, auf das Historienbild verzichtend ihre Kräfte besser einzuschätzen gewußt und es folglich zu größerer technischer Meisterschaft gebracht. 23 Solche Überlegungen sind jedoch in den nachfolgenden Jahren durch das gesteigerte Interesse an historischen Stoffen zurückgedrängt worden. 1857 dominiert bei Fontane, entsprechend den zeitüblichen Vorstellungen, das Interesse an den offiziell bedeutsamen Geschichtsstoffen. In einem Bericht über die Londoner Kunstausstellung 1857 ist es so vordergründig, daß ihm der Versuch, große Historienbilder zu schaffen, selbst dann etwas gilt, wenn die Aufgabe nicht bewältigt wurde. Er verlangt die großformatige Darstellung bedeutender historischer Themen. Die „Vollkommenheiten im Kleinen“ genügen ihm nicht mehr, „der bloße Anlauf, um über den Berg zu kommen“ bedeutet ihm mehr, als „der graziöseste Sprung über den Maulwurfshügel“. 2 ''*
In der 1862 veröffentlichten Menzel-Biographie würdigt er ausschließlich den Maler der friderizianischen Epoche: „Diejenigen seiner Arbeiten, die andere Wege einschlagen und nicht anklingen an ,Fridericus Rex, unser König und Herr*, sind etwas Fremdes und erscheinen fast wie Hindernisse oder Unterbrechungen in seinem Entwicklungsgänge, wie groß das Talent und namentlich die originelle Auffassung sein mag, die diesen Arbeiten zugrunde liegt.“ 23
Diese Äußerungen weisen einerseits auf die Entwicklung des Historismus, der in den fünfziger Jahren seinen Siegeszug begann, aber sie weisen auch auf Fontanes Annäherung an offizielle konservative Bestrebungen. Zur selben Zeit künden sich jedoch auch schon Ansätze zu weniger herkömmlichen Betrachtungsweisen an. In einer 1860 in „Das Vaterland“ veröffentlichten Rezension der Berliner Kunstausstellung beurteilt er die Gestaltung historischer Stoffe differenzierter als 1857. Die Wahl bedeutender Geschichtsthemen ist für ihn zwar immer noch ein wesentliches Kriterium der Wertung, gleichzeitig rät er aber den Malern, wenn die Voraussetzungen zur Bewältigung solcher Themen fehlen, bescheidenere
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