seien und führt das auf das Fehlen der Freiheit zurück. „Eh wir nicht volle Freiheit haben, haben wir nicht volle Kunst.“ 39 Die Wandlungen, die Fontanes Vorstellungen hinsichtlich der Bedeutung des Stofflichen erfahren haben, spiegeln auch die in zeitlich großen Abständen entstandenen Blechennotizen.'* 0 In den ersten Aufzeichnungen, die als Vorarbeiten für die „Wanderungen“ niedergeschrieben wurden, dominiert das Interesse für das stofflich Bedeutsame, insbesondere für das „Semnonenlager“. Nach der Blechenausstellung von 1882 hat Fontane u. a. Zusammenstellungen von Arbeiten notiert, die er gerne für sich zur Freude in seinem Wohnzimmer hätte, darunter befindet sich keine der vom Stofflichen her bedeutenden Arbeiten, sondern er bevorzugte die kleinen italienischen und märkischen Studien und unter den märkischen Landschaften „Das Walzwerk bei Eberswalde“ und „Blick über Dächer“, Arbeiten, die zu den besten Werken der realistischen deutschen Malerei im 19. Jahrhundert gehören.
Spezielle Gestaltungsprobleme
Die Farbe als Ausdrucksmittel der Malerei
Fontane hat sich in der Auseinandersetzung mit Problemen der bildnerischen Gestaltung wiederholt zur Farbe als Ausdrucksmittel der Malerei geäußert. Mit dieser Thematik hat er sich vornehmlich um die Mitte der sechziger Jahre befaßt. Dabei interessierte ihn in erster Linie die Frage, ob die Bedeutung der Farbe für diese Kunstgattung so vorrangig sei, daß die Preisgabe gedanklicher und emotionaler Werte zugunsten gesteigerter Farberlebnisse gerechtfertigt sei. D. h., daß er bestimmte auf eine dekorative Malerei hinzielende Entwicklungstendenzen, wie sie sich in den Berliner Ausstellungen jener Jahre darstellten, sehr deutlich erkannte. Er konnte sich diesen neuen Tendenzen in der Malerei nicht ganz entziehen, das zeigt sich insbesondere in der Besprechung von Gemälden von Karl Becker. Er verteidigt ihn gegen seine Widersacher mit der Eemerkung: „Wie in der Dichtung das bloß Musikalische nicht nur die volle Berechtigung hat, sondern gelegentlich den ganzen Zauber übt (mitunter über alle Macht des Gedankens hinaus) so in der Malerei die Farbe. Es handelt sich für Dichter und Maler nur- darum, klar zu erkennen, wo der Farbe hier, dem Klange dort die Grenzen gezogen sind. Es läßt sich kein Drama mit bloßem Klang und kein historisches Bild mit bloßer Farbe schaffen; bescheiden sich aber Lyriker und Genremaler, muten sie ihren speziellen Begabungen nicht mehr zu, als diese Begabung leisten kann, so wird es ihnen vergönnt sein innerhalb ihrer Sphäre die liebenswürdigen und dankenswertesten Aufgaben zu lösen.“ 1,1
In der Interpretation des Bildes „Eine Conseil-Sitzung beim Dogen“ von Becker geht Fontane noch über diese Anerkennung einer Malerei mit bescheidenem gedanklichen Inhalt hinaus und akzeptiert die vollständige Preisgabe des Ideelichen: „Es ist die Arbeit eines ausschließlichen
Koloristen, der in der Farbe schwelgt wie ein anderer in Tönen; har-
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