erblickte in ihr ein Götterbild und schrieb ihr Himmelsahnung und zugleich eine höhere Form der Wahrheit zu.
Damit erhielt die Kunst jene Funktion der „Verklärung“, die nicht nur in den Auffassungen Merckels und des Tunnels, sondern überhaupt in der deutschen bürgerlichen Kunst- und Literaturtheorie jener Zeit eine erhebliche Rolle gespielt hat. Es ist bekannt, daß diese „Verklärung“ auch in den theoretischen Äußerungen Fontanes über Dichtung und bildende Kunst noch lange zentrale Bedeutung behielt. Die Mitgliedschaft im Tunnel dürfte bei Fontane die Rezeption zeitbedingter Anschauungen intensiviert haben.
Wilhelm von Merckel hat in seiner Festrede beim fünfundzwanzigsten Stifungsfest (1852) die Lebensferne des Tunnels und seine pseudoreligiöse Kunstauffassung deutlich unterstrichen. Er interpretierte die künstlerischen Ziele des Tunnels als „Weisheit der Narrheit“; sie sei es gewesen, die, „das Häßliche hassend und das Bittere scheuend, gleichsam mit instinktmäßigem Grauen vor den Eumeniden dieser Welt, politischem Hader und religiöser Zwietracht, einen Zauberkreis gegen diese Dämonen um das stille Asyl der Kamönen zog“. Und die „Weisheit der Narrheit“ war es auch, die, so „wie der Muselmann seine Schuhe vor der geheiligten Schwelle der Moschee zurückläßt, gleichsam [. ..] im Vorhofe des Musentempels eine Garderobe errichtete, in welcher der Bürger der Well von draußen sich selbst an den Nagel hängt und, ein Bürger einer schönem Welt, verwandelt ins Heiligtum tritt“.
Diese Annäherung der Kunst an die Religion sowie die Entgegensetzung von Leben und Kunst Anden wir in jener Zeit auch bei Fontane, allerdings in schlichtere Worte gekleidet und (nach dem Vorbild der deutscher * Klassik) mit klassisch-antiken Vorstellungen verbunden. In seinem dem
Tunnel 1852 gewidmeten Gedicht „Der Reiter auf dem Flügelpferde“ (gemeint ist der Dichter auf dem Pegasus) sagt Fontane, anknüpfend an den letzten Vers des Prologs zu Schillers „Wallensteins Lager“ : Karg und matt
Beut das Leben, was es Freuden hat;
Unter Not und unter Sorgen Geht das Heute, kommt das Morgen,
Ernst beschrieben ist das Lebensblatt.
Schall und Dunst
Ist dies Dasein ohne Göttergunst;
Nur den Reiter auf dem Flügelpferde Lachet an die schöne Gotteserde,
Heiter, heiter ist die Kunst.
In einem zweiten Gedicht, betitelt „Die Muse“, das Fontane im folgender. Jahre (1853) - wie das erste ebenfalls anläßlich des Stiftungsfestes des Tunnels — verfaßte, übernimmt Fontane auch die im Verein gängige Divergenz von „Tunnel“ und „Welt“. Unter dem Eindruck des beginnenden Krimkrieges läßt Fontane die Muse, die Schutzherrin der Dichtung den Verein folgendermaßen anreden:
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