vorwärtskommen und, dass sie vor 50 oder 100 oder 150 Jahren jedenfalls viel miserabler waren. Hier fehlt das Leben, nirgends thriving town: — die fanatischen Dänen wühlen im Alten umher, ganz ,gamle Danmark' hinten und vorn. Danebrog und das ,Raufschrauben‘ jeder Grösse, aber man blickt rückwärts und bewundert Rückwärts-Liegendes, denkt aber nicht daran, Bausteine für die Zukunft zu legen.“ 6 In diesem kurzen Zitat haben wir praktisch Fontanes gesamte Dänemarkkritik: Der Vorwurf, nur rückwärts gewandt zu sein, die Zukunft zu versäumen, den Verfall nicht aufzuhalten. In diesem Zitat liegt natürlich auch ein Teil der Begründung, weshalb die Handlung seines Romans „Unwiederbringlich“ von Mecklenburg-Strelitz nach Dänemark transponiert werden konnte.
Wenden wir uns nun den journalistischen Äußerungen Fontanes über Dänemark zu, in denen seine Sicht unverstellter zum Ausdruck kommt als in seinen dichterischen Werken. Die Ankunft in Kopenhagen, einer der drei Zauberstädte, die er immer hatte sehen wollen, wird ganz in romantisches Kolorit getaucht. Der architektonische Reiz Kopenhagens ward aber als durchschnittlich geschildert, ohne schöne Einzelgebäude oder Anlagen. Das Stichwort ist pittoresk. Beispiele für solche Gebäude sind der Runde Turm, die Erlöserkirche, Schloß Rosenborg und vor allem die Börse, die er mit ihren Pilastern und dem Drachenturm als „grotesk“ bezeichnet, mit „Bizarrerien, die an der Grenze des Wahnsinns hinlaufen“. 7 Dem Schloß Rosenborg widmet er in dieser Brief folge über Kopenhagen ein besonderes Kapitel, bedingt durch die reichen Bestände an Kunst- und Einrichtungsgegenständen aus den verschiedenen Epochen dänischer Geschichte, die es ihm ermöglichen, historische Fakten und Anekdoten vor dem Leser auszubreiten.
Der Eindruck von der Hauptstadt ist also positiv. Nicht so eindeutig sind seine Aussagen über die dänische Bevölkerung. Hier spielen allerdings die politische Beeinflussung aus der Zeit nach 1848 und Äußerungen des Times-Korrespondenten Gallenga eine Rolle. Fontane geht nicht von seinen Beobachtungen aus, sondern vergleicht z. T. dubiose, gefärbte Berichte mit seinen eigenen vorgefaßten Meinungen. An dieser Stelle merkt man die Nähe der Kriegsereignisse besonders stark. Ressentiments auf beiden Seiten werden sichtbar.
Aus den patriotischen und nationalistischen Äußerungen der 50er und 60er Jahre hatte er den Schluß gezogen, daß die Dänen ein besonders begabtes Volk sein müßten, da man nicht ohne Grund ein solches Selbstgefühl an den Tag legen könne. Sein erster Eindruck ist: „Durchschnittsbeschaffenheit“, kaum ein Unterschied zwischen der preußischen und dänischen Bevölkerung. Dieses Urteil bleibt auch, nachdem er sich länger in Dänemark umgesehen hat, bestehen. Der Makel, der den Dänen seiner Meinung nach anhaftet, „ist ihr Mangel an jeglicher Schulung“ 9 . Das Volk sei träge und apathisch, die oberen Klassen zu hochmütig und egoistisch, um dem abzuhelfen. Das scheint ein zumindest gewagtes Urteil zu sein. Und aus diesem Urteil folgt ein zweites Fehlurteil: Hier liege die Inferiorität des dänischen Soldaten. Er sei „ungeweckt“ und deshalb
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