und ängstlich wahrten, beschränkte die Möglichkeiten der Entstehung einer „emanzipatorischen Literatur“ (S. 63), sondern in erster Linie und weit stärker wurde in dieser Hinsicht der Klassenstandpunkt wirksam, den das Bürgertum im Kampf gegen das Proletariat einnahm. Davon jedoch lesen wir in C. Liesenhoffs Buch nichts.
Ähnlich steht es mit dem Abschnitt über die Familienideologie und die Familienzeitschriften. Nach der Meinung der Autorin bezweckte das Bürgertum mit seinem Rückzug auf die Familie — wenigstens bis zur Mitte der sechziger Jahre (S. 47) — eine Abschirmung gegenüber der reaktionären Umwelt der refeudalisierten Gesellschaft (S. 50). In diesem Sinne soll die Familie eine „Ooase“ innerhalb der Gesellschaft sein, ausgezeichnet durch Stabilität, inneren Frieden, Besinnlichkeit und ihren Intimcharakter, und zwar infolge der „Ausgliederung [der Familie] aus dem Produktionsprozeß“ (S. 48 f.). Die Verfasserin übersieht, daß die Familienideologie, wie sie in den Familienzeitschriften propagiert wurde, die regressive Einstellung des mittleren und des Kleinbürgertums zum Ausdruck brachte, das in seiner Auseinandersetzung mit dem Proletariat auf überholte patriarchalische Auffassungen zurückgriff und sidi damit, ob nun unabsichtlich oder bewußt, an die feudalen Kräfte anlehnte. Die „alte deutsche Sitte“ wurde zum Kampfmittel gegen den Fortschritt -
Was Fontane betrifft, so stimmen wir der Verfasserin darin zu, daß Fontane als bürgerlicher Schriftsteller (S. 26, 55) bis zu einem gewissen Grade einer „sozialen Eingebundenheit in die preußische Gesellschaft“ unterlag (S. 27) und dennoch ihr — schließlich sehr scharfer — Kritiker wurde (S. 64). Allerdings scheint uns, daß die Autorin die soziale „Marginalität“ und die „Isolation“ (S. 39, 64), die Fontane mit anderen deutschen Realisten seiner Zeit teilte, stärker betont als nötig. Auch finden wir die Unterscheidung zwischen dem „aktuellen“ Publikum Fontanes, das aus dem Bürgertum bzw. dem Bildungsbürgertum kam, und seinem „ideellen“ Publikum, das der Adel gewesen sein soll, zumindest terminologisch nicht glücklich (S. 14, 26, 34, 36, 67). Immerhin wird in dieser Arbeit im einzelnen erwiesen, daß Fontane zwar den „Normen und Verhaltensmustem des Bürgertums verpflichtet war“ (S. 14) und trotzdem Sakrilege gegen den bürgerlichen Sittenkodex nicht gescheut hat, auch nicht, wenn ihm das literarischen Mißerfolg eintrug (S. 58). Fontanes „Kotau vor dem bürgerlichen Lesepublikum“ und seinem Zeitschriftenwesen war „nur ein scheinbarer“ (S. 75).
Was also C. Liesenhoff im ersten Teil ihrer Arbeit bietet, ist u. E. zum Teil unzureichend, um Teil bedarf es, trotz brauchbarer Ansätze, der Einschränkung oder Modifizierung. Dagegen liest man den zweiten Teil, der hauptsächlich den Gesellschaftsromanen Fontanes und seiner Gesellschaftskritik gewidmet ist, mit mehr Gewinn. Er enthält einige feine Beobachtungen und kluge Feststellungen.
Die Autorin geht von der Überzeugung aus, daß die Gesellschaftskritik, die Fontane in den Briefen formuliert hat, von seinem Romanschaffen nicht zu trennen ist und in Verbindung damit gesehen werden muß
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