(S. 75). Sie entwickelt dann ihre Auffassung, wonach es sich in Fontanes Romanen nicht um direkte, inhaltliche Sozialkritik handelt, sondern um eine auf einer „Metaebene“ sich entfaltende massive Gesellschaftskritik (S. 66, 76). Das hatte zwar zur Folge, daß Fontanes Romane auf zwei Weisen gelesen werden konnten, bloß vom Inhalt her, als unterhaltsame Lektüre oder unter gleichzeitigem Erfassen des kritischen Gehalts (S. 66). Die Autorin legt dar, warum Fontanes Gesellschaftsromane, obgleich sie von ihnen meint, daß sie „den dynamischen Aspekt des sich wandelnden gesellschaftlichen Lebens“ nicht einfangen (S. 66), dennoch politische Romane sind (S. 65). Denn zwar spart Fontane soziale Konflikte, die Arbeits- und Berufswelt sowie das öffentliche Leben aus und konzentriert die Handlung seiner Romane auf die „Privat- und Alltagssphäre“ und auf eine „Gesprächswirklichkeit“ (S. 67, 70), doch verknüpft er „das private Geschehen [.. .] mit dem politischen und gesellschaftlichen Geschehen“ (S. 97). Fontanes auf einer „Metaebene“ geübte Gesellschaftskritik bedient sich nicht der verbalen Argumentation (S. 64), sondern arbeitet mit künstlerischen Mitteln, mit den „Erzähltechniken der Rollendistanz, der Ironie, der Parallelisierung und Kontrastierung von Handlungsabläufen“ (S. 66). Fontane relativiert seine dichterische Aussage, läßt damit seine kritische Einstellung erkennen und regt den Leser zur Krtik an, oder er verleiht der Organisation des Romangeschehens gesellschaftskritischen Gehalt (S. 96, 111). Das erläutert die Verfasserin in Analysen von „Irrungen Wirrungen“, „Stine“, „Schach von Wuthenow“ und „Effi Briest“ im einzelnen (S. 83—112).
Obschon diese Ausführungen anregend und ergiebig sind, so fehlt auch hier, wie im ersten Teil Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung einfach übergangen werden, eine Untersuchung der Perspektive, auf die Fontanes Gesellschaftskritik ausgerichtet ist, Es hätte gezeigt werden müssen, daß Fontane, indem er nicht nur den Adel, sondern auch die Bourgeoisie der Kritik unterwarf, eine — allerdings inhaltlich nicht mehr ausgestaltete — Perspektive eröffnete, die über die bürgerliche Gesellschaftsordnung hinausführte, so daß der bürgerliche Realist Fontane zum kritischen Realisten aufstieg.
Wenngleich wir das von der Verfasserin nicht erwarten dürfen, so meinen wir doch, die Verfasserin hätte es vermeiden sollen, Fontanes Romane, mit welchen Einschränkungen auch immer, in die Nähe der Trivialliteratur jener Zeit zu rücken (S. 15, 61, 66, 73, 77 f.). Denn erstens handelt es sich dabei nur um Stoflparallelen, die nichts besagen. Zweitens widerspricht C. Liesenhoff damit ihrer eigenen Charakteristik der Trivialliteratur (S. 72 f.), und drittens konstatiert sie selbst, Fontane gehe „weit über die Unterhaltungs- und Trivialliteratur seiner Zeit“ hinaus (S. 66). Im ganzen hinterläßt das Buch einen zwiespältigen Eindruck 3 . Es ist das Verdienst der Autorin, daß sie sich gegen das (in der BRD) „gängige Fontane-Bild der .versöhnenden Verbindlichkeit“ seiner Romane“ (S. 115) gewandt und zu dessen Widerlegung beigetragen hat. Allerdings kommt sie dabei über die Positionen einer bürgerlichen Wissenschaftlerin nicht hinaus. Und ihre Behauptung, die „Konsequenzen“ aus dem „Informa-