abzurunden, die Tiefe ihrer Beziehungen auszuloten und die Reuterrezeption Fontanes richtig zu begreifen.
III
Obwohl Theodor Fontane gelegentliche Vorbehalte gegenüber Fritz Reuter äußert und zuweilen auch eine gewisse Distanz zu ihm empfunden haben mag, sucht er im Grunde dennoch die Nähe des Mecklenburgers, nicht nur, indem er sich laufend theoretisch mit ihm beschäftigt und das Wesen seiner Kunst, die er sehr schätzt, zu ergründen trachtet, sondern auch dadurch, daß er sich für die sozialen und gesellschaflichen Grundlagen, in denen Reuters Schaffen wurzelt, und die Lebenskultur und Umwelt der Menschen, deren Schicksal Reuter gestaltet, interessiert und diese Bedingungen im nachhinein durch mehrere Aufenthalte an Ort und Stelle, d. h. in Mecklenburg, aufzuspüren sich vomimmt.
Schon früh, noch bevor Fontane sein großes kritisch-realistisches Erzählwerk begonnen hatte, beschäftigt er sich wiederholt mit Reuter. Insbesondere ist es der Reutersche Humor, dem das Interesse Fontanes gilt. So nutzt er viele Gelegenheiten, wenn er sich literaturkritisch über solche Autoren zu äußern hat, deren Werke ebenfalls humoristische Tönungen enthalten, Reuters Humor mit heranzuziehen, zum Vergleich beispielsweise und als Modell, an dem alle anderen, in etwa entsprechenden Erscheinungen gemessen werden. Immer steht Reuters volkstümlichderber Humor dabei auf der positiven Seite, als gültiges, Fontane irgendwie vollendet erscheinendes Muster, als Stufe wünschenswerten „erquicklichen Humor(s)“ 22 , die nach Meinung Fontanes von viel zu wenig literarischen Zeitgenossen erreicht worden ist.
Nach der Lektüre des Romans „Pflicht und Schuldigkeit“ (1873) von Rudolf Parisius (1827—1900) gesteht er in einem Brief an seine Frau Emilie: „Seine Force [Parisius’ Stärke, A. Hü.] ist das gefühlvoll Humoristische, und ich habe an vielen Stellen vor Bewegung und vor Vergnügen geweint. Er steht zwischen Wilibald Alexis und Fritz Reuter mitten inne und hat von beiden viel.“ 23
In’ dem 1873 verfaßten Aufsatz über Wilibald Alexis kommt Fontane hinsichtlich der Figurengestaltung in dem Roman „Cabanis“ zu folgendem Urteil: „Einzelne Figuren aus der Jugendgeschichte, zumal Frau Kurzinne und Advokat Schlipalius, sind volkstümlich geworden wie Fritz Reutersche Gestalten; sie haben in der Tat die volle Wahrheit des Lebens mit diesen gemein.“ 24 Es sei dahingestellt, ob die auf Alexis bezogene Wertung zu Recht besteht. Fontanes Auffassungen zur Volkstümlichkeit, Volksverbundenheit und Wirklichkeitstreue Reuters, der hier als unantastbare positive Komparabelgröße fungiert, markiert Grundsätzliches auch seiner eigenen literarischen Ambitionen und Positionen. Am Schluß seines Alexisaufsatzes tritt Fontane der Ansicht entgegen, daß regionale Themen und Probleme notgedrungen eine nur geringe literarische Qualität zulassen würden. Der ästhetische Rang eines Kunstwerkes ist doch ausschließlich das Ergebnis schöpferischer Arbeit eines künstlerischen Subjekts und nicht mitgegebene Eigenschaft des Stoffes, des Sujets oder des
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