Themas. Im Bereich der heimatgebundenen Literatur und des Humors beruft er sich auf Auerbach und Reuter und führt aus: „Sie bewegen sich in noch engerem Kreise als Wilibald Alexis und haben sich nichtsdestoweniger alle deutschen Landesteile, ja die deutschen Herzen bis nach Neu-York und Chicago hin unterworfen.“ 25 Im Gegensatz zu
Auerbach trifft auf Reuter zu, daß seinen Werken auch nach hundert
Jahren noch mutatis mutandis eine große Wirksamkeit geblieben ist. Wieviel Poesie, welche Fülle poetischer Bilder, wieviel Urwüchsigkeit, Kraft und Problemreichtum und welches Maß bewegender nationaler Grundhaltungen auch, oder gerade, dem Kleinleben der Heimat innewohnen, hat Theodor Fontane — vielleicht weniger als Verfasser der
„Wanderungen“, sondern mehr als Dichter der volksverbundenen, kritisch-realistischen Prosa, des sogenannten Spätwerkes, — sehr bald erkannt und seinem literarischen Schaffen hinreichend nutzbar gemacht. Davon ableitend, aus seinen eigenen Erfahrungen also, zugleich aber wohl aus der Beobachtung einer gewissen literarischen Richtung in Deutschland, die Fontane mit Namen wie Seidel, Trojan und Stinde 26 verbinden zu müssen glaubt, plädiert er nahezu ein Vierteljahr hundert nach seinem Alexisaufsatz von 1873 abermals für eine Kunst, die allein durch nationale Werte bedeutend werden könne. Er schreibt: „Es muß sich in einem was aufthun, was schon dicht nebenan sich nicht auf- thun konnte, weil es nicht da ist. Ich bin ein Schwärmer für fremde Literatur und glaube, daß uns Frankreich und England erheblich vorauf sind, aber was ich womöglich noch mehr glaube ist das, daß es mit uns erst besser werden kann, wenn wir uns auf uns selbst besonnen haben und endlich lernen, uns auf unsre eigenen zwei Beine zu stellen. Trotzdem nun beständig dagegen gesündigt wird, so ist doch unverkennbar ein Verlangen danach da, sonst hätte Fritz Reuter (denken Sie ihn sich in der Goethe-Schiller-Zeit) seine Riesenerfolge nicht haben können“. 27
Wie stark der Begriff des Nationalen oder der „nationalen Werte“ in der sich immer deutlicher konsoldierenden imperialistischen Gesellschaft während der wilhelminischen Ära am Ausgang des 19. Jahrhunderts im chauvinistischen Sinne bereits belastet ist, Fontane sieht in seinen Forderungen wichtige Aspekte eines rechten Ansatzes zu einer möglichst gedeihlichen, d. h. dem Realismus verpflichteten literarischen Entwicklung in Deutschland. Konnten nun solche mehr aus Höflichkeit denn aus Überzeugung genannten Gewährsleute wie Seidel, Trojan und Stinde den an kritische Realisten gestellten Ansprüchen nicht genügen, Reuter vermochte es um so überzeugender. Indem sich Fontane also ausdrücklich auf Fritz Reuter beruft, und zwar da, wo er von einer Literatur spricht, die auf „unsere eigenen zwei Beine“ zu stellen sei, wird ersichtlich, welche Richtung er meint: die kritisch-realistische, volksverbundene, volkstümlich-derbe, urwüchsig-humoristische, eine Richtung, die aber auch dem Regional-Heimatlichen verpflichtet ist.
Trotz seiner Verehrung der französischen und englischen Literatur und obwohl er bereitwillig anerkennt, daß Laurence Sterne in seinem
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