Heft 
(1978) 28
Seite
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Tristram Shandy zum BeispielKühnheit und komische Kraft und verglichen mit Reuter das größere Genie bewiesen habe, stellt er sich wegen der schädigenden Kapricen bei Sterne, diefür die Majorität ungenießbar sind, gegen den Engländer und bekennt sich zu Reuter: ,.Im ganzen möcht ich doch sagen, daß mir die guten und besten Sachen Fritz Reuters höher stehen. 28

Fontane versieht sich und sein Schaffen als einen Teil dieser Richtung, ohne zu übersehen, daß ihn manches wiederum aus ihr heraushebt und daß vieles ihn unterscheidet von denen, die er als Protagonisten schätzt, eben auch von Fritz Reuter. Ihm imponiert jedoch an Reuter, wie dieser den Realismus, die realistische Methode, meistert, und zwar mit Hilfe des Humors, der den Hintergrund sozialer und gesellschaftlicher Epochenkonflikte mitzeichnet. In Reuters humoristischer Epik mochte er einiges von dem verwirklicht finden, worin er das Wesen des Humors sieht, derdas Darüberstehen, das heiter-souveräne Spiel mit den Erscheinungen dieses Lebens, auf die er herabblickt, zur Vorausset­zung 29 hat. Denn bei Reuter ist in Ansätzen sehr deutlich vernehm­baren allerdings bereits vorhanden und erkennbar, was Fontane mit seiner Humorbestimmung ausdrücken will: Aus einer soliden progressiven Grundhaltung, die die Entwicklung in ihren Widersprüchen und ihrer sozialen Problematik begreift, erwächst eine Souveränität des historischen Urteilens und sozialen Wertens, zu deren ästhetischer Bewältigung der Humor einen der besten Wege darstellt Nur die Souveränität im histo­rischen und gesellschaftlichen Begreifen der Wirklichkeit ermöglicht jene heiter-überlegene Position, die zum Humor, zum olympischen Lachen führt.

Wo und von wem immer der Reutersche Humor in irgend einer Weise in Frage gestellt wird, in Fontane hat Reuter stets seinen Verteidiger. So schreibt Fontane am 24. Juni 1879 an seine Frau Emilie:Was Du über Reuter und Dickens schreibst, ist richtig. Deshalb ziehen so viele Engländer Thackeray weit vor, trotzdem ich glaube, daß Dickens Talent viel größer ist. Bei Reuter ist es mir nicht aufgefallen, ich bin sehr von ihm eingenommen, und was Du trivial, gröblich, kritiklos nennst, nenn ich humoristisch. 30

Und viel später noch, als er im Jahre 1895 zwischen Leberecht Hühnchen und Unkel Bräsig ein Werturteil treffen soll, schreibt er an Georg Fried- laender:...ich möchte Ihnen fast zustimmen fast, nicht ganz wenn Sie Leberecht Hühnchen über Onkel Bräsig stellen. Dieser ist schließlich doch gesunder und dauerhafter. 31

Nicht nur die literarischen Figuren Reuters allen voran die Haupt­gestalt derStromtid, Unkel Bräsig treten, je älter Fontane wird, deutlicher denn zuvor in sein Blickfeld, sein Interesse gilt zunehmend auch dem niederdeutschen Kulturboden, den regionalen mecklenbur­gischen Bedingungen, dem Atmosphärischen und dem Wirklichen der Lebensumwelt und den vielen Besonderheiten der Heimat Reuters, um, so scheint es, lange nach Reuters Tod noch ein wenig von dem nachzu- empflnden und aufzuspüren, was den Mecklenburger Dichter formte

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