Heft 
(1978) 28
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und seine plattdeutschen Dichtungen prägte. Am 6. Juni 1897 schreibt Fontane an Wilhelm Hertz:Am Mittwoch will ich mit Frau und Tochter nach ,Nijen Brannenburg abdampfen, um Preußen zu vergessen, wozu Fritz Reuters Heimat als eine Art Gegensatz die beste Gelegenheit bietet. Ich stelle Rothspon und Onkel Bräsig höher als den ganzen Borussismus, diese niedrigste Kulturstufe, die je war. 32 Bei aller Ver­ehrung für Fritz Reuter will er aber nicht einer unkritischen Verklärung der zurückgebliebenen Verhältnisse in Mecklenburg das Wort reden; es ist die Sehnsucht nach einem Gegenpol zu dem von Fontane gehaßten und immer schärfer kritisierten militaristischen Preußentum, die ihm die Feder führt. Und dieser Feder entstammt, als er am 3. 10. 1893 an Friedleander schreibt, was ihn an Enttäuschung und Verbitterung über Preußen bewegt, daß es hieretablierte Mächte gibt, denen man sich unterwirft.Diese Mächte, so schreibt er weiter,sind verschieden: Geld, Adel, Offizer, Assessor, Professor..., und das Hauptidol, der Vitzliputzli des Preußischen Kultus, ist der Leutnant, der Reserve­offizier. 33 Fünf Jahre später verallgemeinert Fontane seine Preußen­kritik, indem er am 14. Mai 1898, kurz vor seinem Tode also, an Gustav Keyssner schreibt:Heer und Polizei bedeuten freilich auch eine Kultur, aber doch einen niedrigeren Grad, und ein Volks- und Staatsleben, das durch diese zwei Mächte bestimmt wird, ist weitab von einer wirklichen Hochstufe. 34

Diewirkliche Hochstufe findet Fontane natürlich auch in Mecklenburg nicht, doch daß er hier den alle Lebenswinkel beherrschenden borus- sischenMächten nicht ausgesetzt ist, das macht ihm dieses Land so angenehm:Ich bin gern in Mecklenbureg, wie in allen Ländern und Städten, die man in dem öden und dämlichen Berlinertum unsrer Jugend für Plätze zweiten Ranges hielt, während sie unsrem elenden Nest... immer überlegen waren. 35 Der über die Monate Juni und Juli des Jahres 1897 sich erstreckende Aufenthalt Fontanes in Neubrandenburg, wo erin dem eine Viertelmeile vor der Stadt gelegenen Augustabad, halb Hotel, halb Sanatorium, 30 wohnt, bedeutet ihm mehr als Sommer­frische in binnenmecklenburgischer Seenlandschaft, er ist vornehmlich das, als was ihn Fontane selbst sieht, ein einstweiliges Refugium, ab­geschirmt von allem Preußischen:Seit gestern bin ich hier und hoffe von dieser Flucht in das eigentlichste weil Fritz Reutersche Mecklen­burgerthum (er lebte hier 7 Jahre) das Beste. 37 Und diesesBeste des eigentlichen Mecklenburgertums war über die Werke Reuters längst zum geistigen Eigentum, zum rezipierten Erbe Fontanes 38 geworden und als solches, wie vermittelt und wenig augenscheinlich auch immer, in das Erzählwerk des großen kritischen Realisten Theodor Fontane ein- geflossen.

IV

Über die Beziehungen zwischen Theodor Fontane und Fritz Reuter, diesen beiden bedeutenden Realisten der deutschen Nationalliteratur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sind im voraufgehenden zahlreiche

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