Georg von Gynz-Rekowski (Wernigerode)
„Ellemklipp“ und der Bäumler-Prozeß
Neue Erkenntnisse nach dem Auffinden der Prozeßakte
Im Oktober und November 1879 schreibt Fontane die Erzählung „Ellemklipp-, bietet sie mit einem Brief vom 14. März 1880 dem Redakteur der Westermannschen Monatshefte, Dr. Gustav Karpeles, zum Vorabdruck an und teilt dabei eine kurze Inhaltsangabe mit: „Nach Aufzeichnungen eines Harzer Kirchenbuches. Spielt unmittelbar nach dem Siebenjährigen Kriege in einem Harzdorf. Eifersucht des Vaters gegen den Sohn. Der Sohn fällt als Opfer, bis zuletzt auch der Alte den Visionen seiner Schuld erliegt. Hauptfigur: ein angenommenes Kind, schön, liebenswürdig, poetisch-apathisch, an dem ich beflissen gewesen bin die dämonisch- unwiderstehliche Macht des Illegitimen und Languissanten zu zeigen. Sie tut nichts, am wenigsten etwas Böses, und doch verwirrt sie regelrechte Verhältnisse. Sie selbst, ohne den Grundton ihres Wesens zu ändern, verklärt sich und überlebt das Wirrsal, das sie gestiftet.“ 1
Mit dem Mädchen Hilde, das Fontane als die Hauptfigur der Erzählung verstellt, präsentiert er einen Typ, auf den er mehrfach wiederkehrende Charakteristika seines literarischen Arsenals konzentriert. Er komponiert die Figur nicht aus Landschaft und Geschichte, sondern aus einem ihm typischen Kompositionsschema. Das Mädchen ist Kind einer feudalen Liaison, ähnlich der Jugend von Cecile. Jeweils ist dies nicht im deutlichen Umriß gesagt, sondern nur am Rand schemenhaft angedeutet. Das Gemüt der beiden Mädchen wird „languissant“ genannt, von matt schläfriger Blässe. Heißt es von Cecile: „Sie ist, trotz eines languissanten Zuges, oder vielleicht auch um desselben willen, eine Schönheit ersten Ranges“ 2 , so lautet die Bemerkung über Hilde: „Blaß und rotblond und matt und müde. Wir sagen ,languissant“, und ich denke, wir wissen, was es meint.“ 3 Rotblondes Haar zeichnet beide Gestalten aus, und beiden breitet sich zeitweise auch eine gleiche Landschaft. Wie nicht fern vom Försterhaus im „Ellernklipp“ sich das unheilschwangere Eisbruch befindet, so wandern das später auch im Tod endende Liebespaar Cecile und Gordon auf dem heiteren Spaziergang von Thale nach Altenbrack über ein Eisbruch, hinter dem das ehemalige Jagdhaus Todtenrode steht.
Beide Frauengestalten, auch schon als aufblühende Mädchen, stehen in der rivalisierenden Liebe zweier Männer. Dieses Motiv durchzieht fast das ganze Roman werk Fontanes, gipfelnd in „Elfi Briest“, wobei in „Ellemklipp“ nicht ein Ehemann die Rechtsordnung vertritt, sondern der Pflegevater selber zum Liebhaber, dann Ehemann wird und diesen Weg und Wandel durch den Mord einleitet. Aus dem ihm eigenen Kompositionsschema gibt Fontane daher der in der „Mordgeschichte“ offenen Frage, aus welchem Grund „den 28 ten Jun. morgens gegen 1 Uhr Johann Michael Bäumler ein Jäger Bursche durch mordrische Hand seines Vaters erstochen, worann er bald darauf verschieden“ 4 eine Antwort, die lautet: Eifersucht des Vaters gegen den Sohn. Mit der
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