Der tägliche Spaziergang hatte midi um die Mittagsstunde auch am 20 September 1898 in die elterliche Wohnung geführt. Mal schnell hinaufspringen, mal sehen und hören, wie’s dem Alten geht. — Erst wenige Tage war er von Karlsbad zurück. Die Mama hatte die Rüdefahrt unterbrochen, weilte noch für kurze Zeit in dem gemütlichen Heim einer guten Freundin in Blasewitz.
Aber, wenn auch Frau Emilie selbst nodi nicht wieder das Szepter schwang: Mete, die Tochter, meine Schwester, und mit ihr die treue langjährige Dienerin des Hauses waren ja da und wetteiferten darin, für den „Herrn“ zu sorgen, ihn bestens zu betreuen.
So war es denn auch. Ganz so, wie es in dem kleinen Gedicht steht: Heute früh, nach gutdurchgeschlafener Nacht Bin ich wieder aufgewacht...
Dann war ein kurzes Arbeitspensum absolviert worden. Indes, das schöne Wetter hatte gelodet, das Bedürfnis nach frischer Luft. Man war noch sozusagen auf Nachurlaub, noch nicht eingewintert.
Und so hatte er denn, gut gelaunt und, wie er es jetzt öfters als ein etwas an Luftmangel leidender alter Herr liebte, den Spaziergang abgekürzt, um von dem sicheren Beobachtungsposten des einen der beiden Schinkelschen Torhäuschen aus desto befriedigter das beginnende Groß- stadtleben am Potsdamer Platz an sich vorbeifluten zu lassen.
Zwei Teller Kartoffelsuppe — natürlich mit Brühe und die Prise Pfeffer daran — hatten gut gemundet, den „grünen“ Kartoffeln war das richtige Quantum Petersilie beigesetzt gewesen, die gut zubereiteten Hammelrippchen hatten .die vorgeschriebenen drei Minuten auf hellem Feuer gebraten, und der Milchgrieß, gar nicht klütrig — aber mit viel Zucker und Zimmet — hatte ausgezeichnet geschmeckt.
Beim Täßchen Kaffee, gleich nach dem Mittagsmahl genommen, traf ich ihn an.
„Nun, wie geht’s, Papa?“ „Danke! Na, so lala! Aber was kann man auch groß noch bei 38 Pulsschlägen verlangen?“
„Hat Mama geschrieben? Kommt sie bald zurück?“ „Ich denke noch eine Woche. Für sie sind die paar Tage Ausspannung bei Treutiers die beste Nachkur. Hier langweilt sie sich nur. Namentlich jetzt, wo dein Verlag mich um die Korrekturen drängt und ich täglich davon einen ganzen Berg zu bewältigen habe.“
„Tut mir gewiß sehr leid. Aber es ist schon Ende September, und die Bestellungen auf den ,Stechlin‘ laufen weiter gut ein, die erste Auflage ist schon überschritten“, suchte ich ihn zu erfreuen.
„Nun, das ist schön! Besonders für dich. Aber ich fürchte, das Publikum wird später, wenn es sich erst den Schaden besieht, recht enttäuscht sein. Es ist nun einmal kein richtiger Roman im landläufigen Sinne. Eigentlich überhaupt kein Roman, vielmehr nur eine Aneinanderreihung von Anekdotischem, mit vielen Dialogen dazwischen. Und dann, die Hauptsache fehlt, wie du weißt: kejne Spur von Handlung oder etwa gar Spannung.“
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