„Trotz alledem, Papa, die erhöhte Nachfrage spricht für den Erfolg, wenn auch nicht gleich wie bei ,Effi Briest 1 .“
„Mag sein! Du warst ja immer Optimist! — Übrigens, ich muß sagen, ich habe heute selbst mit Vergnügen in den Aushängebogen geblättert. Es ist das Buch, das ich für mich geschrieben habe. Mir gefällt’s. Das ist mir noch bei keinem meiner Bücher passiert. Wenn sie erst gedruckt Vorlagen, bin ich immer ängstlich drumrumgegangen.“
Der Gedanke, mit zwei dicken Bänden, noch dazu kurz hintereinander — das Quellenwerk „Von Zwanzig bis Dreißig“ war erst vor wenigen Monaten erschienen — seinem Publikum doch zu viel zugemutet zu haben, muß ihn bis zuletzt beherrscht hab.en. Wie eine Entschuldigung klangen die inzwischen bekanntgewordenen Reime, die man auf seinem Schreibtisch fand:
„Zwölfhundert Seiten auf einmal,
Und mit achtundsiebzig! beinah ein Skandal.
Konntest es doch auf viermal verteilen!
Ihr könnt es, — aber bei mir heißt es eilen“
Es sollte die letzte Unterhaltung mit meinem Vater gewesen sein. Als ich am selben Abend — Gott sei Dank! ausnahmsweise früh — heimkehrte, steckte ein Zettelchen an der Korridortür. Und beim Flackern eines Fünfminutenbrenners entzifferte ich die Worte meiner Schwester: „Komm sofort zu uns!“ — Ich ahnte, ich wußte, es war etwas passiert. Schnell hinunter, und, in die nächste Droschke springend, hielten wir schon nach wenigen Minuten vor dem alten Johanniterhause. Ich kam zu spät. Noch vor kaum zwei Stunden hatte er die paar 1 Häppchen, die er sich auf seinem Zimmer servieren ließ. — um nicht etwaigen Anfechtungen bei der Familientafel ausgesetzt zu sein („alte I-eute sollten abends lieber überhaupt nichts essen!“) — in Gesellschaft der Tochter mit gutem Appetit verzehrt. Dann begab er sich in den angrenzenden schon seit Jahren zum Eßzimmer umgewandelten Alkoven, um, wie üblich, dem alten Merckelschen Schrank noch ein Verdauungs- gläschen des so geschätzten Gilka zu entnehmen.
Die Tür war angelehnt geblieben. Nichts regte sich. Nach einiger Zeit, als er immer noch. nicht zurückkehrte, wurde die Tochter unruhig. Sie ging nun auch durch den Alkoven und den dahintergelegenen Schlafraum — das ehemalige Berliner Zimmer — in die Küche.
„Anna, ist der Herr etwa draußen?“, fragte sie. ..Nein, hier ist er nicht gewesen.“
Sie traten beide hinter den Bettschirm. Und da fanden sie ihn. Lautlos lag er über seine eigene Lagerstätte gebeugt. Ohne Todeskampf war er dahingegangen. „So war der Tod gekommen wie Zieten aus dem Busch!“ „Um neun ist alles vorbei!“ — Wie oft hatte er diese Worte gesprochen! Die Stunde war gekommen. Und nicht lange darauf rundete sich die Stunde. Die alte Uhr, ein Erbstück seit Generationen, holte wieder einmal zu neun zögernden Schlägen aus. Der oft gehegte Wunsch, bei ihrem Ticktack, wie schon Vater und Großvater, zu sterben, war
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