Heft 
(1978) 28
Seite
319
Einzelbild herunterladen

schlimm. Und ein solches ist jetzt. An der obersten Stufe der zweiten Treppe hört die Erneuerung auf. Ich könnte mich beschweren, ich könnte mit Auszug drohen. Komisch! Drei-Treppen-hoch-Leute dürfen nicht. Sie sind froh, ein Unterkommen gefunden zu haben. Wozu auch? Überall dasselbe oder aus dem Regen in die Traufe...

Um dieselbe Zeit wird es auch gefährlich. Im ganzen Hause geht das Gas aus. Was nur zwei Treppen hoch wohnt, ist fort, und was drei Treppen wohnt, ja, das ist da. Aber daß es da ist, das ist eben Beweis, das spricht gegen die Leute, sonst wären sie nicht da. Wozu also ihnen zu Ehren drei Etagen beleuchten?

2. Berliner Umzug

Ein Lieblingsballett der Berliner Königlichen Hofbühne, zumal wenn russische Großfürsten auf Besuch kommen, war immerSardanapal. Was man sich dabei dachte, orientalisch angeflogenen Fürstlichkeiten geradeSardanapal vorzusetzen, ist Geheimnis. Ich habe mehreren solcher Aufführungen beigewohnt. Ebenso wenig weiß ich, wie das Ballett sich eigentlich gab, und nur seine Schlußszene ist mir treu im Gedächtnis geblieben: alle Schätze Ninives werden bis in die Soffiten hinein aufgetürmt, und auf der Höhe derselben, umgeben von seinen Frauen (die, mit assyrischer Elle gemessen, hübscher sein müßten), gibt sich Sardanapal samt Mobiliar und Harem den Feuertod. Der dabei zur Erscheinung kommende Harem hat mir nie genügt, aber was mir sicher­lich noch weniger genügte, das war Sardanapals Mobiliar-Vermögen, das, wenn mir recht ist, immer vermöge der Gestalt von Thronsesseln, Diwans und Rokoko-Kanapees in die Erscheinung trat. Es waren gewiß immer sehr reputierliche Sachen, und doch bin ich nie den Eindruck losgeworden, daß es Plunder sei. Und wenn das am grünen Holze Sardanapals, wenn auch nur eines Ballett-Sardänapals, passiert, was erst an dem dürren Holze moderner Berliner Durschnittsmenschheit, die am 1. Oktober auf einem baulichen Ungeheuer, das sich Möbelwagen nennt, ihren Umzug hält.

Allerdings ist der Eindruck, nach der Beschaffenheit derer, die ihren Umzug bewerkstelligen, ein sehr verschiedener, wobei sich trifft, daß die Armen besser abschließen als die Reichen.

Ein Armer zieht aus. Er bewirkt selber seinen Auszug und hat einen Handwagen herangeschafft, auf dem er seine Habe etagenweise in seine neue Dachwohnung zu schaffen gedenkt. Da steht ein Schrank von Kiefern- und die unvermeidliche Kommode von Birkenmaserholz, ein paar Gardinenstangen liegen obenauf und ein kupferner Kessel, und zwischen die vier aufrecht stehenden Beine eines Stuhles ist ein Vogel­bauer gestellt. So setzt sich der erste Zug in Bewegung. Der Zeisig springt hin und her und scheint zu sagen: mir recht, ich hänge draußen und habe dieselbe Luft. Es ist der Anblick der Armut, die mehr an­genehme als bedrückende Gefühle weckt, und der Eindruck, den diese Armut macht, ist der der Bescheidenheit und läuft darauf hinaus, wie

319