Buchfoim, bis 1933 nur geringen Umfang erreichte. Den Verzeichnissen von J. Schobeß und R. Koester zufolge erschienen bis 1933 im In- und Ausland etwa 30 Arbeiten über Fontane in Buchform (die nicht alle ein wissenschaftliches Anliegen verfolgten) und ca. 15 Dissertationen; ihnen stand eine Unzahl von Artikeln über Fontane in Periodica gegenüber.
Die Untersuchung der Haltung des „Publikums“ zu Fontane führt die Verfasserin „unter dem Aspekt der literarischen Kanonbildung“ durch (Vorwort). Es soll also auch gezeigt werden, aus welchen Gründen Fontane heute als Klassiker betrachtet wird. Ob dieses zweite Ziel mit den Methoden der Rezeptionsforschung erreichbar ist. darauf wird noch kurz einzugehen sein.
Nach einleitenden Ausführungen zur Rezeptionstheorie und zur Pro- blcmgeschichte des Klassischen analysiert U. Tontsch die Rezeption der Schliffen Fontanes von 1900 bis in unser Jahrzehnt. Anhangsweise werden die Texte von 12 ausgewählten Artikeln über Fontane (1910—1973) vdedergegeben, darunter je ein Artikel von Peter Goldammer und Dietrich Sommer.
Den Stoff des analytischen Teils gliedert die Verfasserin so, daß sie sieben Phasen bildet, die sie — gemäß ihrer Sicht — in vier Abschnitten zusammenfaßt. Zum ersten Abschnitt gehören danach die Phasen der „Konsolidierung“ (1900—1913 und 1933—1939), zum zweiten die Phasen der „Krise“ (1913—1923 und 1939—1945) und zum dritten die Phasen der „Stagnation“ (1923—1933 und 1945—1954). Im vierten Abschnitt wird die „Sanktionierung des Klassiker-Status“ (seit 1954) behandelt. Diese die chronologische Abfolge durchbrechende Gliederung ist nicht überzeugend, da die Zusammenfassung von jeweils zwei Phasen unter einem Oberbegriff auf den historischen Situationswandel mehr formal als inhaltlich bezogen wird. Desgleichen dringen die „Horizontanalysen“, mit denen die Verfasserin die Erörterung der Phasen einleitet, nicht bis zum Kern der sozialökonomischen und politischen' Entwicklung vor, sondern bleiben an der Oberfläche, wiewohl sie mancherlei Fakten und Tendenzen aufzeigen, die das Verständnis der Zeitgeschichte erleichtern.
Diese Mängel schränken den Wert der Arbeit zwar ein, jedoch entschädigt uns die Verfasserin durch ihren auf einem umfangreichen und aussagekräftigen Material basierenden Abriß des Rezeptionsprozesses der Werke Fontanes.
Die Verfasserin zeigt, daß Fontane in der Zeit von 1900 bis 1933 vor allem als märkisch-preußischer und Berliner Dichter galt („Sänger der Mark“, S. 45; „Preußendichter“, S. 46; „märkischer Wanderer“, S. 83; „Historiker der Berliner Gründerzeit“, S. 84). Unter diesem Aspekt wurden auch seine Romane gelesen. Das Anziehende an den Werken Fontanes waren für die Leser jener Zeit außer dem regionalen und lokalen Kolorit die Wahrhaftigkeit, Schlichtheit und Liebenswürdigkeit des Plauderers Fontane, sein Humor und seine liebenswerte Persönlichkeit. Das kritische Element in den Werken Fontanes spielte im Fontane- Bild der Leser noch keine nennenswerte Rolle. Vielmehr wurde dem
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