Preußentum Fontanes und seiner vermeintlichen konservativen Traditionstreue exemplarische Gültigkeit zugeschrieben. Der politisch rechts stehende Leser suchte sich daran in unsicheren Zeiten wie in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg aufzurichten (S. 60 f., 68—70, 83, 85, 87). In dieser Rezeptionsperiode glaubte man bei Fontane Werte von (wie es schien) zeitloser Gültigkeit zu finden, und man war durchaus geneigt, mit Fontanes Hilfe in die „gute alte Zeit“ zu fliehen (S. 70), aber nicht bereit, mit seiner Unterstützung die eigene Zeit kritisch zu bewältigen. Der „Zauber“ der Fontaneschen Prosa bestand dieser Auffassung nach in dem „müden und holden Schleier schöner Menschlichkeit, freien Anstandes und sittlicher Vernunft, der hiei über allem Geschehen liegt“; es ist das „Nicht-Hetzende, Ausruhende, Lässig-Behagliche“ der künstlerischen Produktion Fontanes, was den Leser zu dem Dichter hinzieht (S. 88; so Erich Ebermayer 1928). Fontane ist — für Wilhelm von Scholz (1924) — ein „stiller, nachdenklicher, vornehmer täuschungsloser Dichter“ (S. 89). Eine leichte Akzentverschiebung in der Fontane-Bewertung vom lächelnden Philosophen zum Skeptiker und Pessimisten hin bewirkte die Veröffentlichung der Briefe an die Familie (1905) und besonders an die Freunde (1910).
In den ersten drei Jahrzehnten der Rezeption, die hier untersucht werden, war Fontane noch nicht volkstümlich, sondern hatte nur eine kleine, aber treue „Gemeinde“ von Lesern (S. 44, 86), deren Alterszusammensetzung sich mit der Zeit verschob, so daß nach dem Ersten Weltkrieg weniger die jüngere, vielmehr vor allem die ältere Generation Fontane las (S. 86 f.). Ja, ein Vertreter der jüngeren Generation, Kurt Tucholsky, hielt sogar 1919 Fontanes Romane für „leicht angestaubt“ und glaubte feststellen zu dürfen: „Der Romanschreiber Fontane verschwindet mit seiner Zeit“ (S. 66).
In der Nazizeit hat sich an dem Fontane-Bild, das zwischen 1900 und 1933 entwickelt worden war nichts geändert, u. a. deshalb nicht, weil „eine differenzierte Diskussion des Fontane-Bildes“ aus politischen Gründen nicht möglich war (S. 79). Überhaupt findet man aus den Jahren 1933 bis 1939 über Fontane „auffallend wenige Äußerungen in der Presse“ (S. 53), während in den Kriegsjahren Fontanes Werk zu propagandistischen Zwecken mißbraucht wurde (S. 76—79).
Die Hauptvoraussetzung dafür, daß Fontane nach 1945 neu und anders gesehen werden konnte, waren die Veränderungen, die sich als Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges vollzogen haben (eine Tatsache, die — wie uns scheint — U. Tontsch nicht genug hervorhebt). Ferner haben die Veröffentlichung neuer Fontane-Texte und die nach und nach erreichte allgemeine Zugänglichkeit fast aller Werke Fontanes in umfangreichen Ausgaben viel dazu beigetragen, daß eine entscheidende Wende in der Rezeption Fontanes eintrat. Rundfunk, Film und Fernsehen haben den Dichter seitdem einem ungeahnt breiten Publikum nahegebracht’ Fontane ist, so kann man sagen, nach 1945 erst recht eigentlich entdeckt worden, und diese Entdeckung förderte einen solchen Reichtum zutage und stellte der Beschäftigung mit Fontane so viele neue Aufgaben, daß