von einer „Fontane-Renaissance“ gesprochen wurde (S. 112). All das verhalt wiederum zumal den Romanen Fontanes zu enorm hohen Auflagen. Die Zeit der kleinen Fontane-„Gemeinde“ ist vorbei.
Wir sind der Meinung, daß die neue, nach 1945 einsetzende Periode in der Aufnahme und Würdigung Fontanes, die Fontane-Renaissance und die Bewertung des Dichters als „Klassiker“ allein von den Pressestimmen her nicht adäquat zu erfassen sind. Dazu wäre auch die nun mächtig anwachsende wissenschaftliche Literatur über Fontane heranzuziehen, da z B., wie U. Tontsch schreibt, das Fontane-Bild der DDR „von der Monographie Reuters wesentlich beeinflußt“ ist (S. 111). Weil aber die Verfasserin keinen Forschungsbericht vorlegen will, kommt das, was sie an Belegen über die Fontane-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg beibringt und verarbeitet, über Hinweise und Andeutungen nicht hinaus. Es kann daher auch der prinzipielle Unterschied zwischen der Fontane- Rezeption in der DDR und der in der BRD nicht ausreichend erläutert werden, obgleich sich U. Tontsch bemüht, die Bedeutung des kulturellen Erbes in unserer Kulturpolitik zu verstehen (S. 110 ff.). Allerdings hat die Verfasserin absichtlich „das Fontane-Bild der DDR [. . .] nur kurz Umrissen“ S. 2).
Soweit sich also über das Fontarte-Bild in der BRD. auf das allein wir hier näher eingehen, aufgrund der Presseartikel etwas Zuverlässiges aussagen läßt, sind folgende Tendenzen erkennbar: Als Konstante in der Rezeption Fontanes ist die Hochschätzung seiner humanen Persönlichkeit, seiner liebenswürdigen Heiterkeit und seiner Weisheit zu betrachten (S. 113, 116 f.). Darüber hinaus ist in dieser Rezeptionsperiode erstmals der ältere und der alte Fontane als Demokrat und Gesellschaftskritiker anerkannt und zunehmend gewürdigt worden, und zwar seit der epochemachenden Veröffentlichung der Briefe Fontanes an Georg Friedlaender durch Kurt Schreinert (1954) (vgl. S. 91 f.). Zwar hat das noch nicht dazu geführt, daß man die falsche Formel von „heiteren Darüberstehen“ fallenließ, aber sie wurde in ein „Uber-den-Dingen-Stehen“ modifiziert (S. 108), und Fontane wurde allmählich als Realist und als entschiedener Kritiker der Gesellschaft seiner Zeit begriffen (S. 105—109).
Ob nun dieses Fontane-Bild in der BRD dominiert oder nicht, es muß sich jedenfalls gegenüber Auffassungsweisen behaupten, die noch aus der Fontane-Rezeption vor 1933 stammen und nicht überwunden sind. Sie knüpfen an die Widersprüche in Fontanes literarischen Aussagen and an sein Sowohl-als-auch an und interpretieren beides im Sinne eines bürgerlichen Individualismus und Pluralismus (S. 114). Auch ist die Neigung, sich von Fontane in eine angeblich wohlgeordnete und festgefügte Welt der Vergangenheit, in das „versunkene, idyllische Berlin“ zurück führen zu lassen, nach wie vor spürbar (S. 115). Während also der Gesellschaftskritiker Fontane durchaus zu Worte kommt, bleibt Fontarie andrerseits für manche Leser in der BRD noch immer Idylliker. Trotz dieser Einschränkungen des neuen, progressiven Gehalts des Fontane-Bildes in der BRD wird Fontane doch als einer der Wenigen i,echten Romanciers“ der deutschen Literatur (S. 91)- als „bedeutendster
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