Pierre-Paul Sagave (Paris)
Krieg und Bürgerkrieg in Frankreich. Erlebnis und Dichtung bei Theodor Fontane.
Joachim Schobeß zum 70. Geburtstag. *
I.
Fontane als Kriegsberichterstatter 1870—1871.
Fontane hat sich vom 29. September bis zum 1. Dezember 1870, und dann wieder vom 10. April bis zum 13. Mai 1871 in Frankreich aufgehalten. Was er in diesen Zeiträumen erlebt hat, ist bekannt genug und kann hier nicht bis ins Einzelne nachgezeichnet werden. Es lohnt sich jedoch, auf die Eindrücke, die der Dichter bei seinen Begegnungen mit Franzosen gewonnen hat, und auf seine einander manchmal widersprechenden Xlrteile über Frankreich hinzuweisen. Es sei dabei die Frage aufgeworfen, inwieweit sich Fontanes Stellungnahmen von der Haltung repräsentativer Publizisten des offiziellen Preußens unterscheiden. Bei näherer Überprüfung der Kriegsberichterstattung zeigt sich nämlich bei ihm, in gewissen Grenzen allerdings, eine Selbständigkeit des Urteils, die mit der herrschenden Meinung nicht unbedingt übereinstimmt. Schließlich soll auch festgestellt werden, was denn vom Frankreicherlebnis in seine Dichtungen übergegangen ist. Zwei Romane Fontanes enthalten Interpretationen von Ereignissen, die sich auf den Bürgerkrieg beziehen, der dem deutsch- französichen Krieg folgte: in Quitt (1890) wird eine bedeutende Episode aus der Geschichte der Pariser Commune ausführlich dargestellt; in Der Stechlin (1898) erscheint die Commune als bedeutsame Allegorie in den Variationen zum Thema der sozialen Revolution
Als der deutsch-französische Krieg ausbricht, nimmt Fontane kaum an der patriotischen Erregung teil; er spricht sogar in diesem Zusammenhang von „unendlich viel Blech“. 1 Diese Zurückhaltung läßt sich keineswegs durch seine französische Abkunft erklären, denn die seit 1685 zu Brandenburgern und Preußen gewordenen hugenottischen Glaubensflüchtlinge haben sich dem Staat gegenüber, der sie aufgenommen hatte, stets gesinnungstreu gezeigt. Fontane selbst spricht von seinen Vorfahren in folgenden Worten: „Die Refugies waren Muster der Loyalität, ohne je servil zu werden“. 2 Man darf annehmen, daß sich in Fontanes gemäßigter Haltung bei Kriegsausbruch, inmitten aller Begeisterung, sein Gleichmut als Grundstimmung äußert.
Dieser Gleichmut sollte dem Journalisten Fontane bei seiner neuen Aufgabe nützlich sein. Schon während der Kriege von 1864 und 1866 war er von seinem Verleger, Rudolf von Decker, beauftragt worden, nach Besichtigung der Schlachtfelder die Geschichte der Feldzüge gegen Dänemark und gegen Österreich zu verfassen. 3 Am 8. August 1870 erklärt
» 22. April 1978
452